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EU: Vranitzky plädiert für Sozialpartnerschaft

Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky hat in Berlin für eine Art Sozialpartnerschaft in den EU-Ländern plädiert. Mit deutschen Politikern erörterte er, wie mehr wirtschaftliche Dynamik in Europa zu Stande kommen könnte.

„Warum setzen wir uns nicht an einen Tisch und überlegen, wie mit dem großen Wettbewerbsdruck und der Auslagerung in Billiglohnländer umzugehen ist?“, meinte er. Das könnte gelingen, wenn man eine Art sozialpartnerschaftliche Dialogplattform schaffe, wo sich Arbeitnehmer, Arbeitgeber und die Politik zusammensetzten. Der EU-Markt sei immerhin größer als der russische oder der amerikanische.

„So hätte man wieder Haltegriffe. Dann ist die EU die Antwort auf die Globalisierung!“, betonte Vranitzky. „Wenn Herr ÄJosefÜ Ackermann von der Deutschen Bank sehr gute Gewinne und gleichzeitig die Entlassung tausender Leute verkündet, ist das nicht gerade eine Beruhigungspille.“ Da würden die Politiker und die Regierung sehr wohl gefragt werden: „Was macht ihr dagegen?“ Auch wenn sie im konkreten Fall Ackermann gar nichts tun könnten, so Vranitzky, müssten sie für die bestmöglichen Rahmenbedingungen sorgen.

Bei einem Diskussionsabend in der österreichischen Botschaft sowie bei den vorangegangenen Gesprächen mit dem deutschen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, Verkehrsminister Manfred Stolpe sowie SPD-Chef Franz Müntefering warb Vranitzky für die Idee der sozialpartnerschaftlichen Plattform.

Der frühere Bundeskanzler und Ex-Parteichef der SPÖ plädierte für mehr Allianzen. „Je größer die Union wird, desto eher muss man Partnerschaften finden.“ Die Suche nach Allianzen werde immer notwendiger. Österreicher hätten zwar einige gute Ideen, „aber aus irgendwelchen Gründen verlassen diese nicht das Territorium der Republik Österreich“.

Europamüdigkeit der Bevölkerung sei nicht nur ein Kommunikationsproblem: „Das Produkt selbst ist nicht befriedigend.“ Auf drängende Fragen der Europabürger müsse es Antworten geben, der Bürger muss sich darin maßgeblich wiederfinden. Im Falle Österreichs: weder Sicherheit noch Lebensstandard noch Rechtsstaatlichkeit sei in etlichen Balkanländern gegeben, und die Österreicher wollten keine Unsicherheitsfaktoren vor der Tür. „Die Gefahr droht: Sonst wird das Heil im Nationalen gesucht!“

Vranitzky sorgt sich, dass in den hoch entwickelten Staaten West- und bald auch Osteuropas immer weniger Wert auf den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft gelegt werde. Man müsse um den Erhalt von Demokratie und Solidarität ununterbrochen bemüht sein.

Diese Sorge gilt auch dem Erhalt der Bürgerrechte – nicht nur in den USA -, wenn durch “überernste“ Terrorismusbekämpfung persönliche Freiheiten immer mehr eingeschränkt werden.

Zur Kapitalismusdebatte des SPD-Chefs Franz Müntefering meinte Vranitzky: „Ich kann das nur für Österreich beurteilen. 2004 war ein für die Unternehmen besonders ertragreiches Jahr. Bei der Lohnentwicklung und beim Arbeitsplatzangebot merkte man aber das nicht. Also da hat Müntefering nicht ganz unrecht.“

Zum Thema EU-Beitritt der Türkei, sagte Vranitzky: Die EU habe Ankara dreimal versprochen, für Beitrittsverhandlungen zur Verfügung zu stehen. Wortbruch sei keine gute Grundlage für eine Kooperation. Allerdings bedeute die Aufnahme der Verhandlungen keine Automatik für einen Beitritt. Beide Seiten müssten sich viel Zeit nehmen und prüfen, ob man zusammenpasse. „Da darf es keine faulen Kompromisse geben.“

Wenn die EU nach dem Türkei-Beitritt an Georgien, Syrien, den Iran und den Irak grenze, könne man das entweder ablehnen oder aber die Türkei als Puffer gegen diese krisenanfälligen Länder sehen. Er selbst halte die Puffer-Idee nicht für die schlechteste. „Aber wir sind noch nicht soweit.“ Vranitzky kritisierte einige Vorfälle der jüngsten Zeit, „mit der die Türkei wahrlich nicht für sich geworben hat.“

Innenpolitisch sorgt sich Vranitzky wegen des Gespenstes vorgezogener Wahlen mitten in der österreichischen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006. „Das wäre keine schöne Visitenkarte. Hier ist Vorsicht geboten.“

Vranitzky lud den deutschen Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement nach Wien ein, einen Vortrag im Bruno-Kreisky-Forum zu halten.

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