EU-Referendum in Großbritannien spaltet Camerons Regierung

Er werde dem Parlament den 23. Juni für das Votum vorschlagen, erklärte Cameron am Wochenende und bekräftigte, mit den erreichten Zugeständnissen seien die Voraussetzungen für den Verzicht auf den Brexit gegeben.
Londoner Regierung über Brexit gespalten
Bereits an diesem Montag wird das Londoner Unterhaus erstmals über die als historisch gewertete Abstimmung debattieren. Die Regierung selbst ist in der Frage gespalten. Cameron, der zuvor den anderen EU-Ländern bei einem Gipfel in Brüssel bestimmte Sonderrechte für die Briten abgetrotzt hatte, betonte, in der Gemeinschaft sei sein Land “sicherer, stärker und besser dran”.
Mehrere Minister kündigten jedoch bereits Widerstand gegen Camerons Linie an und plädierten für einen Ausstieg aus der EU. Der Sender BBC sprach von sechs Dissidenten im Kabinett. Als einer der prominentesten Brexit-Befürworter outete sich Justizminister Michael Gove. Das Land sei außerhalb der EU “freier, fairer und besser dran”, betonte er. Gove galt bisher als enger Vertrauter und Freund Camerons.
Auch Arbeitsminister Iain Duncan Smith tritt für einen Austritt ein. Finanzminister George Osborne und Innenressortchefin Theresa May wollen dagegen für einen Verbleib in der EU kämpfen. Cameron hatte es seinen Ministern freigestellt, sich auf die eine oder andere Seite zu stellen.
Schließt sich Boris Johnson mit UKIP kurz?
Ungewiss blieb auch am Sonntag noch das Verhalten des als einflussreich geltenden Londoner Bürgermeisters Boris Johnson, dem Ambitionen nachgesagt werden, die Nachfolge Camerons antreten zu wollen. Cameron warnte Johnson davor, sich mit dem Chef der EU-feindlichen UKIP (UK Independence Party), Nigel Farage, zusammenzutun.
Das liefe darauf hinaus, einen “Sprung ins Ungewisse” zu tun, sagte der Premierminister. “Europa zu verlassen, würde unsere wirtschaftliche und nationale Sicherheit bedrohen”, sagte Cameron. Schon in Brüssel hatte der konservative Politiker angekündigt, sich “mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele” dafür einsetzen, seine Landsleute vom Verbleib in der EU zu überzeugen.
Farage erklärte den 23. Juni zu einer “goldenen Gelegenheit” für die Briten, die “Kontrolle über unser Land zurückzugewinnen”. Eine von der “Mail on Sunday” veröffentlichte Umfrage ergab, dass 48 Prozent der Befragten gegen einen Brexit waren, 33 dafür und 19 Prozent unentschieden. Umfragen im Jänner waren eher auf einen Gleichstand der beiden Lager hinausgelaufen.
Neue EU-Sonderregelungen für Großbritannien
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich am Freitagabend nach zweitägigen Verhandlungen auf einen Kompromiss zu den britischen Forderungen geeinigt. Cameron konnte dabei seine Kernforderungen durchsetzen – ein Mitspracherecht bei für London relevanten Entscheidungen der Eurozone sowie die Möglichkeit, neu zuwandernden EU-Bürgern bis zu vier Jahre lang bestimmte Sozialleistungen zu verwehren.
Proeuropäische Politiker wie die Ex-Premierminister John Major und Tony Blair warnten vor einem Auseinanderbrechen Großbritanniens, sollte sich das Land gegen die EU entscheiden. Schottische Nationalisten stellten für diesen Fall einen neuen Anlauf in Aussicht, um sich nach mehr als 300 Jahren von England zu lösen.
Für die kommenden Tage kündigte Cameron einen Plan an, wie die Souveränität des britischen Parlaments gesichert werden könne, und warb damit um die Zustimmung Johnsons. Oppositionschef Jeremy Corbyn warf Cameron zwar vor, das Referendum nur aus parteitaktischen Gründen abzuhalten. Seine Labour Party plädiere aber für einen Verbleib in der Gemeinschaft. Die Schottische Nationalpartei (SNP), die drittstärkste Kraft im britischen Parlament, ist ebenfalls für einen Verbleib.
Medienmogul Murdoch ist für Austritt – seine Blätter auch?
Großbritannien trat der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1973 bei. Die Konservativen streiten sich bereits seit Jahrzehnten über das Verhältnis zu Europa. Die Zeitung “The Sun” des Medienunternehmers Rupert Murdoch sprach sich klar für einen Austritt aus der Union aus. Cameron habe es nicht geschafft, einen günstigen Vertrag auszuhandeln. “Wir glauben, dass er falsch liegt”, hieß es in einem Meinungsartikel.
Murdoch selbst gratulierte Justizminister Gove für seine ablehnende Haltung. In Großbritannien fragt man sich nun, ob jetzt die Medien seines umfangreichen Medienimperiums vor dem Referendum Stimmung für einen Austritt machen werden.
Schotten drohen mit neuem Referendum
Der frühere SNP-Vorsitzende Alex Salmond erklärte, im Falle eines Austritts Großbritanniens gehe er von einem zweiten Vorstoß für eine Unabhängigkeit Schottlands aus. 2014 war die Partei bei einer Volksabstimmung über eine Loslösung vom Vereinigten Königreich mit 55 zu 45 Prozent gescheitert. Umfragen zufolge will eine deutliche Mehrheit der fünf Millionen Schotten in der EU bleiben. Die meisten Briten sind allerdings Engländer, unter denen die Euroskepsis verbreiteter ist.