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EU-Kommission: Weichenstellung für Türkei-Beitritt

Soll die Europäische Union Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen? Die Weichenstellung fällt am 6. Oktober, wenn die scheidende EU-Kommission ihre mit Spannung erwarteten Empfehlungen abgibt.

Der Bericht ist die letzte große politische Entscheidung der Behörde, er dient den Staats- und Regierungschefs als Grundlage für einen Beschluss beim EU-Gipfel am 17. Dezember.

Entscheidend in der Beurteilung der Kommission sollen die Achtung der Menschenrechte, die Justizreformen und der Minderheitenschutz sein. Grundsätzlich muss die EU-Behörde beurteilen, ob die Türkei wirtschaftlich und politisch für den Beitritt reif ist. Politisch müssen die „Kopenhagener Kriterien“ erfüllt sein, die 1993 beim EU-Gipfel von Kopenhagen definiert wurden. Das sind stabile demokratische Institutionen, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und der Schutz von Minderheiten. Wirtschaftlich muss ein Land vor der Aufnahme von Verhandlungen eine funktionierende Marktwirtschaft haben und in der Lage sein, dem Wettbewerbsdruck in der Union standzuhalten.

Ehe Ende vergangener Woche die Strafrechtsreform platzte, hatten sich in den vergangenen Wochen die Anzeichen gemehrt, dass die Türkei mit grünem Licht aus Brüssel rechnen kann. So erklärte der zuständige Erweiterungskommissar Günter Verheugen, die Türkei habe „die kritische Schwelle“ in ihrem Streben nach einem EU-Beitritt gemeistert. EU-Diplomaten in Brüssel zufolge ist eine Mehrheit der EU-Kommissare für Beitrittsverhandlungen. Offen ist jetzt allerdings, ob der türkische Wunsch, Ehebruch unter Strafe zu stellen, die Meinung der EU-Kommissare im letzten Moment umdrehen könnte.

Spätestens seit der Brief des österreichischen Kommissars Franz Fischler an die Öffentlichkeit gelangte, ist klar, dass hinter den Kulissen des 30-köpfigen Kollegiums ein heftiges Tauziehen stattfindet. Von allen Kommissaren äußerte Fischler in dem Schreiben an seine Kollegen die bisher massivsten Bedenken gegen den Start von Beitrittsgesprächen. Er bezweifelte die Dauerhaftigkeit der politischen Reformen in der Türkei und warnte vor einem islamisch-fundamentalistischen Rückschlag in dem Staat an der Schnittstelle zwischen Orient und Okzident. Die jüngste Entwicklung um eine Bestrafung von Ehebruch „kann den Verdacht wecken, dass hier eine Konzession gemacht wird, an die konservativen Kräfte des Islam, die Schwierigkeiten haben mit unseren Wertvorstellungen“, räumte nun auch Verheugen ein.

Fischler warnte zudem vor den Kosten, dem Ignorieren der öffentlichen Meinung und einer Schwächung der angestrebten politischen Union durch die Türkei. Als Konsequenz dieser Überlegungen verlangte er einen „Plan B“, also eine Alternative zum Vollbeitritt. Als Plädoyer gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wollte Fischler seinen Beitrag nicht verstanden wissen. Skeptisch zeigte sich auch der scheidende niederländische EU-Kommissar Frits Bolkestein. Dagegen warnte der britische Außenkommissar Chris Patten vor den Folgen eines Nein in der islamischen Welt.

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