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EU in der Sackgasse

Eigentlich sollte der Krisengipfel am Donnerstag und Freitag ein Lebenszeichen der durch die Verfassungskrise schwer getroffenen EU geben. Stattdessen droht die EU immer tiefer in die Sackgasse zu geraten.

Der luxemburgische Ratsvorsitzende Jean-Claude Juncker spricht bereits offen von einem sich abzeichnenden Scheitern der Finanzverhandlungen. Und auch die EU-Verfassung droht in einen komatösen Zustand zu versinken, aus dem sie nur mehr schwer aufwachen wird.

Auch wenn Juncker nur ein Katastrophenszenario an die Wand malen wollte, um noch Druck auf die beiden größten Gegenspieler im Finanzstreit – den britischen Premier Tony Blair und Frankreichs Präsident Jacques Chirac – auszuüben, wäre eine Einigung auf dem bevorstehenden Gipfel fast ein Wunder. Zu tief scheinen sich Blair und Chirac in ihren Positionen verschanzt zu haben, um noch ohne Gesichtsverlust aus Brüssel wieder abreisen zu können. Blair hat ein „Einfrieren“ des 5,2 Milliarden schweren Briten-Rabatts ebenso ausgeschlossen wie Chirac ein Aufschnüren der bereits vor drei Jahren vereinbarten EU-Agrarförderungen, von denen hauptsächlich Frankreich profitiert.

Jucker will am Mittwochabend ein neues Kompromisspapier vorlegen, das aber „keine substanziellen Änderungen“ vorsieht, wie aus Kreisen der EU-Ratspräsidentschaft verlautete. Den Forderungen Blairs nach einer Kürzung der Gelder für die Landwirtschaft will der dienstälteste EU-Regierungschef Juncker nicht nachgeben. Aber „ohne Großbritannien geht nichts“, heißt es einhellig in Brüssel und ein Aufschnüren des Agrarpakets von 2002 sei ebenfalls politisch nicht durchsetzbar. „Das wäre ein Öffnen der Büchse der Pandora“, sagte ein Diplomat. Blair kann zudem nur gewinnen, wenn er weiter auf Zeit spielt und sich erst nach dem britischen EU-Vorsitz im nächsten Jahr in Richtung Kompromiss bewegt. Um Einigung im Finanzstreit hätte dann Österreich unter seiner EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 zu ringen.

Auch Hoffnung Schüssels dürfte sich nicht erfüllen

Auch die Hoffnung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V), den „Unsicherheitszeitraum“ für die EU-Verfassung zu verringern und daher die ausstehenden Ratifizierungen zu beschleunigen, dürfte sich bei dem Gipfel nicht erfüllen. Voraussichtlich werden die „EU-Chefs“ beschließen, das europäische Grundgesetz – je nach Lage in den Mitgliedstaaten – für längere Zeit auf Eis zu legen, um weitere Abstimmungsniederlagen zu vermeiden. Selbst Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hat seine Durchhalteparolen zuletzt aufgegeben und empfiehlt, die „Pause-Taste“ zu drücken. Voraussichtlich werden nach dem Gipfel Dänemark, Tschechien und Irland die Volksabstimmungen zu Hause auf die lange Bank schieben. Auch Schweden hat ein Aussetzen der Abstimmung im Parlament schon angedeutet.

Offiziell zu Grabe getragen werden soll die EU-Verfassung noch nicht. Über eine Rettung einzelner Elemente des Vertragswerks wollen die Regierungschefs gar nicht erst sprechen. „Wir haben ja einen Vertrag“, heißt es in Krisen der luxemburgischen EU-Präsidentschaft. „Wir haben nur ein Problem mit den Ratifizierungen.“ Damit zeichnet sich ab, dass auch die Verfassungskrise prolongiert und eine zusätzliche Belastung für den österreichischen EU-Vorsitz bringen wird.

Europa ist nach dem Euro, dem Abbau der Grenzkontrollen und der historischen Erweiterung um zehn neue Staaten an einem kritischen Punkt angekommen. Die EU von 25 Mitgliedstaaten mag auf Grundlage des geltenden Nizza-Vertrages weiter funktionieren, aber für große neue Vorhaben fehlt die Kraft. Das langsame Sterben der EU-Verfassung, der Streit ums Geld, die jüngsten Misstöne zur Erweiterung und der Vertrauensverlust der Bürger in das europäische Projekt machen Bruchlinien unter den EU-Staaten sichtbar, die nicht mehr zugedeckt werden können. Barroso warnt angesichts der Lage schon vor einer „dauerhaften Krise“ der EU mit schwerwiegenden politischen und wirtschaftlichen Folgen. Die Frage: „Welches Europa wollen wir?“, konnten er, Blair, Chirac und Juncker bis dato nicht gemeinsam beantworten.

Barroso: Besser ein nicht perfekter Kompromiss als keiner

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso hat einen Tag vor dem Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs davor gewarnt, Europa in eine permanente Krise und Lähmung“ verfallen zu lassen. Eine Einigung auf das künftige EU-Budget für 2007 bis 2013 bei dem morgen beginnenden Gipfel der Regierungschefs biete die beste Möglichkeit um zu signalisieren, dass „Europa funktioniert. Daher sei es besser, einen „nicht-perfekten Kompromiss zu erzielen, als gar keinen“, sagte Barroso in Brüssel.

Das Treffen der Regierungschefs markiert nach Ansicht Barrosos einen „Wendepunkt“ und „entscheidenden Moment“ in der Entwicklung Europas. Die Krise müsse in eine Chance verwandelt werden. Dies sei nicht der Moment „um die nationale Karte zu spielen“ betonte der Kommissionspräsident.

Mit dem Vorschlag der luxemburgischen Ratspräsidentschaft für den künftigen EU-Haushalt sei man „auf einem guten Weg“, wenn auch aus Sicht der EU-Kommission viele Zukunftsbereiche wie Forschung, Bildung oder auch 30 transeuropäische Verkehrsprojekte damit gefährdet seien.

Zugleich schlug Barroso vor, die Finanzplanung Ende 2008 zu überprüfen. Es sei in Zeiten großer Veränderungen nicht sinnvoll, Europa bis 2013 finanziell einzuzementieren.

Bewegung sei bei allen notwendig, vor allem in Hinblick auf den so genannten Briten-Rabatt. Die Situation sei heute völlig anders als 1984, als der Rabatt auf die britischen EU-Beiträge ausgehandelt wurde. Heute gebe es zehn neue Mitgliedstaaten, die viel ärmer seien als Großbritannien. Doch auch bei den bereits 2002 fixierten Agrarausgaben verlangte Barroso heute Bewegung: So sei denkbar, die beiden potenziellen neuen EU-Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien in das bestehende Agrarbudget einzubeziehen, ohne es zu erhöhen.

Die Staats- und Regierungschefs diskutieren ab Donnerstag in Brüssel über die so genannte finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 sowie die aktuelle Verfassungskrise in Folge der negativen Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden. Die Positionen liegen bei beiden Themen noch weit auseinander.

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