Der Zeitplan geriet in Verzug. Die Suche nach Gemeinsamkeiten in der Flüchtlingsfrage hatte den EU-Regierungschefs zuvor bereits eine lange Nacht beschert.
“Keine Vereinbarung”
“Wir haben einige Fortschritte gemacht, aber es gibt noch keine Vereinbarung, sagte der britische Premier David Cameron in der Früh. “Ich werde mich nur auf eine Vereinbarung einlassen, wenn wir bekommen, was Großbritannien braucht.”
Beim Gipfel will sich Cameron mit den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs auf ein Reformpaket verständigen, das die britischen Wähler überzeugen soll, für den Verbleib in der Europäischen Union zu votieren. Die Abstimmung könnte bereits im Juni stattfinden.
Die Positionen bewegten sich auf einander zu, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Nach seinem Kenntnistand bewege sich auch die Regierung des Vereinigten Königreiches in einigen Bereichen. Beispiele nannte er allerdings nicht.
Faymann: An Lösung konstruktiv beteiligen
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) sagte vor Beginn des zweiten Gipfeltags, sich an einer Lösung “konstruktiv” beteiligen zu wollen, “obwohl Großbritannien in Fragen der Atomkraftwerke nicht unserer Meinung ist.” Aber “das übergeordnete gemeinsame Ziel in der Familie EU ist, wir wollen stark bleiben”, sagte Faymann am Freitag in Brüssel. Und er wünsche sich, dass bei den Gesprächen mit Cameron “etwas rauskommt”. Man werde auch den Wünschen “eines Kollegen entgegenkommen, ohne die eigenen Interessen so aufzugeben, dass man das nicht mehr vertreten kann”.
Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite bezeichnete die Verhandlungen als “Theater, und jeder muss sein Rolle spielen”. Es gehe darum, jedem die “Gesichtswahrung” zu ermöglichen, sagte die Staatschefin am Freitag zu Journalisten.
Mittagessen verschoben
Ein für 13.30 Uhr angesetztes Mittagessen sei wegen weiterer bilateraler Gespräche um rund eine Stunde verschoben worden, teilte der Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk am Freitag auf Twitter mit. Bei den Beratungen in kleiner Runde sollen die Streitpunkte ausgeräumt werden, bevor alle 28 Staats- und Regierungschefs einen gemeinsamen Beschluss fassen. Bedenken hatten vor allem Frankreich, Belgien und die osteuropäischen Staaten geäußert.
Der britische Sender BBC ging davon aus, dass die EU-Debatte am frühen Abend abgeschlossen sein wird und Cameron danach in London eine Kabinetts-Sondersitzung abhält. Dann könnte er auch das genaue Datum für das Referendum bekanntgeben.
Vereinbarungen bei Austritt hinfällig
In der Nacht ging es nach Angaben von Diplomaten vor allem um Details. Offen war zuletzt zum Beispiel, wie lange es Großbritannien erlaubt werden solle, eine geplante “Notbremse” zu ziehen. Damit will die Regierung in London zugewanderten EU-Bürgern bestimmte Sozialleistungen für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vorenthalten.
Der belgische Premier Charles Michel betonte, dass alle mit Großbritannien jetzt getroffenen Vereinbarungen hinfällig sein würden, falls die Wähler beim Referendum für einen Austritt aus der EU stimmen.
In der Flüchtlingskrise plant die EU Anfang März einen neuen Sondergipfel mit der Türkei. “Wir haben bestätigt, dass es keine Alternative gibt zu einer guten, intelligenten und weisen Zusammenarbeit mit der Türkei”, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in der Nacht.
EU-Türkei-Aktionsplan Priorität
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sah sich in der Nacht in ihren Bemühungen um eine Lösung der Krise bestätigt. Alle Staats- und Regierungschefs hätten den Ende November gefassten EU-Türkei-Aktionsplan nicht nur bekräftigt, sondern auch zur Priorität beim Umsetzen der gemeinsamen Ziele erklärt, sagte sie. Das seien der bessere Schutz der EU-Außengrenzen, die Bekämpfung der illegalen Migration und dadurch die Reduzierung der Flüchtlingszahlen.
Kritik wegen Obergrenze
Beim Gipfel wurde Österreich wegen der angekündigte Flüchtlings-Obergrenze kritisiert. Laut Diplomaten wurde die Forderung laut, dass Wien bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte März diese erst einmal nicht in die Tat umsetzt. Faymann sagte allerdings nach den Beratungen, Österreich halte daran fest. Laut Innenministerium wird das “neue Grenzmanagement” seit Freitag 8.00 Uhr angewendet.
Das neue Grenz-Management sieht vor, dass maximal 80 Asylanträge pro Tag angenommen werden. Dazu kommen noch jene Flüchtlinge, die in einen anderen (aufnahmebereiten) Staat weiterreisen wollen. Hier lässt Österreich ab sofort nur noch 3.200 Personen pro Tag durch, im Schnitt also 200 pro Stunde. Die EU-Kommission hält das Vorgehen für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Konvention sowie mit Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta.
Faymann sagte dazu, dass Österreich mit seiner Obergrenze von 37.500 Asylanträgen für heuer eigentlich “mit gutem Beispiel voran” gehe. Würde “jedes Land dieselben Richtwertgrenzen beschließen, also über 37.500 gemessen an der Bevölkerung, könnten wir in der EU mehr als zwei Millionen Flüchtlinge verteilen”, betonte der Kanzler. “Also ich finde, mehr mit gutem Beispiel vorangehen kann man nicht. Außer man würde sagen, schickt uns alle. Aber das geht eben nicht.” (APA)