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EU-Gipfel findet keine Einigung zu russischem Vermögen

Stocker betont Wettbewerbsfähigkeit für Klimaziele
Stocker betont Wettbewerbsfähigkeit für Klimaziele ©APA/AFP
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben bei ihrem Gipfel in Brüssel am Donnerstag keine Einigung zur Nutzung eingefrorener russischer Vermögen für die Ukraine erzielt. Die Entscheidung wurde auf den nächsten Gipfel im Dezember vertagt. Laut Ratspräsident Antonio Costa ist die EU dennoch "entschlossen, den dringenden Finanzbedarf der Ukraine für die nächsten zwei Jahre zu decken, einschließlich der Unterstützung ihrer militärischen und verteidigungspolitischen Bemühungen".

Russland müsse den Krieg unverzüglich beenden, betonte Costa. "Der Europäische Rat verpflichtet sich, den dringenden Finanzbedarf der Ukraine für den Zeitraum 2026-2027, einschließlich ihrer militärischen und verteidigungspolitischen Anstrengungen, zu decken. Daher fordert der Europäische Rat die Kommission auf, so bald wie möglich Optionen für eine finanzielle Unterstützung auf der Grundlage einer Bewertung des Finanzbedarfs der Ukraine vorzulegen, und fordert die Kommission und den Rat auf, die Arbeiten voranzutreiben, damit der Europäische Rat auf seiner nächsten Tagung auf dieses Thema zurückkommen kann", heißt es in der Erklärung.

Die ursprünglich im Entwurf enthaltene Passage "Der Europäische Rat fordert die Kommission daher auf, auf der Grundlage einer Bewertung des Finanzierungsbedarfs der Ukraine so bald wie möglich konkrete Vorschläge für die mögliche schrittweise Verwendung der mit den eingefrorenen russischen Vermögenswerten verbundenen Barguthaben im Einklang mit dem EU-Recht und dem Völkerrecht vorzulegen", wurde gestrichen.

Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Nutzung des russischen Vermögens für einen Kredit über 140 Milliarden Euro für die Ukraine stand im Zentrum der Beratungen in Brüssel. Der Ukraine sollen damit die Militärausgaben der kommenden zwei oder drei Jahre finanziert werden. Die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs ringen bereits lange um eine Einigung. Die Mehrheit der Staaten ist dafür, nicht nur wie bisher die Zinsen, sondern auch die Vermögen selbst für die Hilfe der Ukraine zu nutzen. Wie genau dies geschehen soll, ist jedoch unklar. "Das ist sicherlich kein triviales Thema. Es ist sehr komplex", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach dem Gipfel. "Es war auch ganz klar, dass es noch einige Punkte zu klären gibt."

Belgien nannte Bedingungen

Belgien hatte Bedenken und verlangte Garantien der EU-Partner, um vor möglichen Klagen Russlands sicher zu sein. Belgien spielt eine Schlüsselrolle, da der Finanzdienstleister Euroclear, der einen Großteil des russischen Geldes verwahrt, dort seinen Sitz hat.

Belgien knüpft die Zustimmung zu einem 140-Milliarden-Euro-Kredit für die Ukraine aus russischem Vermögen an drei Bedingungen. Noch sehe er keine Rechtsgrundlage für eine solche Entscheidung, betonte Ministerpräsident Bart De Wever. De Wever forderte eine vollständige Vergemeinschaftung des Risikos von Klagen sowie Garantien. Alle EU-Mitglieder müssten ihren Beitrag leisten, falls das Geld zurückgezahlt werden müsse. Zudem müsse jedes Land, das Vermögenswerte mobilisiert habe, im gleichen Tempo voranschreiten. Die Schlussfolgerungen zur Ukraine wurden von allen 26 EU-Staaten außer Ungarn unterstützt.

Russland warnte die EU vor einer "direkten Konfiszierung" seines eingefrorenen Vermögens. Jede Maßnahme der EU zur Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte auf Euroclear-Konten werde eine "schmerzhafte Reaktion" Russlands nach sich ziehen, sagte die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa.

"Der Europäische Rat betont, wie wichtig es ist, dafür zu sorgen, dass die Ukraine widerstandsfähig bleibt und über die haushaltspolitischen und militärischen Mittel verfügt, um ihr Recht auf Selbstverteidigung weiterhin auszuüben und der Aggression Russlands entgegenzuwirken", heißt es im Dokument. Die 26 begrüßen auch die Verabschiedung des 19. Sanktionspakets: "Die Europäische Union ist entschlossen, ihren Druck auf Russland aufrechtzuerhalten und zu verstärken, damit es seinen brutalen Angriffskrieg beendet, unter anderem durch weitere Sanktionen", wird angekündigt.

Selenskyj zufrieden

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte die "guten Ergebnisse" des EU-Gipfeltreffens. "Die Europäische Union hat zugesichert, dass die finanzielle Unterstützung für die Ukraine nicht nur im nächsten Jahr, sondern auch im Jahr 2027 fortgesetzt wird", schrieb er am späten Donnerstagabend im Kurznachrichtendienst X. "Dies ist eine wichtige einstimmige Entscheidung." Selenskyj sieht demnach "die politische Unterstützung in Bezug auf eingefrorene russische Vermögenswerte und deren maximale Nutzung zur Abwehr russischer Aggressionen" als gesichert an. "Die Europäische Kommission wird alle notwendigen Details ausarbeiten."

Auch der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz zeigte sich zufrieden mit den Beratungen. Das Entscheidende sei zunächst, dass die Ukraine die Zusage habe, dass die EU sie in den kommenden zwei Jahren finanzieren werde. Man müsse dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor Augen führen, dass eine Fortsetzung seines Angriffskrieges sinnlos sei, sagte Merz nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir erhöhen den Druck, um auf der russischen Seite Verhandlungsbereitschaft zu erzeugen, damit in der Ukraine endlich die Waffen schweigen." Dieses Signal der Stärke müssten die Europäer geben. Die USA haben unter Präsident Donald Trump die Militärhilfe für die Ukraine weitgehend eingestellt.

Der NEOS-Delegationsleiter Helmut Brandstätter nannte das Scheitern beim Reparationsdarlehen einen schweren Rückschlag. "Jedes Zögern schwächt Europa. Putin will ein schwaches, gespaltenes Europa - unsere Antwort müssen Stärke und Einheit sein", so Brandstätter in einer Aussendung. Er hoffe, dass die EU im Dezember der Ukraine russisches Kapital zur Verfügung stellen könne.

Auch die angekündigten US-Sanktionen seien ein wichtiges Signal: "Selbst in Washington wächst das Bewusstsein, dass man Putin Grenzen setzen muss. Das wäre eine Chance für gemeinsame Stärke. Jetzt wären die USA und Europa endlich auf einer Linie. Doch während Washington handelt, sucht Europa Ausreden. Wir müssen uns entscheiden, ob wir Zuschauer bleiben oder Mitgestalter unserer eigenen Zukunft sind."

Sondergipfel zur Wettbewerbsfähigkeit

Ratspräsident Costa kündigte an, für 12. Februar einen informellen Sondergipfel zur Wettbewerbsfähigkeit einzuberufen. Der Europäische Rat habe eine strategische Diskussion über die Erreichung des Klimaziels 2040 geführt, heißt es im Kapitel der Schlussfolgerungen. Es wird betont, dass in diesem Bereich mögliche "Defizite nicht zu Lasten anderer Wirtschaftssektoren gehen". Diese Passage hatte im Entwurf der Erklärung gefehlt; mehrere EU-Staaten, darunter Österreich, hatten bereits im Vorfeld eine stärkere Berücksichtigung von Wettbewerbsfähigkeit und Industrie bei der Festlegung der EU-Klimaziele 2040 gefordert.

Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) berichtete, dass die Diskussion zu den Klimazielen "intensiv" war, weil "wir in der Wettbewerbsfähigkeit hohen Nachholbedarf haben". Das sei auch "unstrittig im Rat gewesen", erklärte Stocker. Jetzt gelte es, "diese Wettbewerbsfähigkeit soweit wieder herzustellen und auszubauen, damit wir die Klimaziele auf dieser wirtschaftlichen Basis auch erreichen können". Die Klimaziele für 2040 seien auf der Tagesordnung des Treffens der EU-Umweltminister am 4. November. Aus seiner Sicht gehe es darum, Wettbewerb und wirtschaftliche Stärke und Klimaziele zu verbinden, und nicht das eine gegen das andere auszuspielen.

"Die Staats- und Regierungschefs haben die Richtung vorgezeichnet", reagierte Umwelt- und Klimaminister Norbert Totschnig (ÖVP) am Donnerstagabend in einer Stellungnahme gegenüber der APA: "Diese wird vom Ratsvorsitz nun in einen konkreten Text übersetzt. Die österreichische Linie ist klar: Der Weg zur Klimaneutralität muss gesellschaftlich tragbar sein und unsere Wettbewerbsfähigkeit absichern."

Änderungen auch bei ETS2 gefordert

Änderungen fordert die Gipfelerklärung auch beim neuen europäischen Emissionshandelssystem für den Gebäude- und Verkehrssektor (ETS2), das ab 2027 laufen soll. Ziel von ETS2 ist, die durch die Nutzung von Heiz- und Kraftstoffen verursachten CO2-Emissionen innerhalb der EU zu senken. Die Unternehmen müssen jedes Jahr so viele Zertifikate kaufen, wie die durch von ihnen in Verkehr gebrachten Brennstoffe an Emissionen verursacht haben. Befürchtungen waren, dass sie dies an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergeben und dadurch etwa die Heizpreise steigen könnten.

Verbrenner-Aus wird überprüft

Auch zum Verbrenner-Aus äußern sich die Staatschefs: So wird die "Absicht der Kommission begrüßt, die in der Verordnung über CO2-Emissionsnormen für Pkw und Leicht-Nutzfahrzeuge vorgesehene Überprüfung voranzutreiben". Gefordert wird "die rasche Vorlage dieses Vorschlags unter Berücksichtigung der Technologieneutralität und des europäischen Inhalts". Würde das Verbrenner-Verbot in Kraft treten, dürften ab 2035 in der EU keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden.

Zudem sprechen sich die EU-Chefs für den weiteren Abbau von bürokratischen Hindernissen aus und begrüßen die Initiativen der Kommission: "Insbesondere begrüßt der Europäische Rat die Arbeit an den Omnibus-Paketen zur Vereinfachung der Vorschriften für Investitionen und den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) sowie die Maßnahmen zur Aussetzung der Fristen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Sorgfaltspflicht für Batterien und Chemikalien". Diese Maßnahmen waren teils von Umweltschützern schwer kritisiert worden.

EU winkt 19. Sanktionspaket durch

Abseits der Frage der russischen Gelder einigten sich die EU-Staaten auch auf ein 19. Sanktionspaket gegen Russland wegen des Ukraine-Überfalls. Es enthält unter anderem ein Einfuhrverbot für russisches Flüssigerdgas (LNG). Die Maßnahmen umfassen zudem einen neuen Mechanismus zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit russischer Diplomaten. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte, das Paket richte sich unter anderem gegen russische Banken, Krypto-Börsen sowie Unternehmen in Indien und China. Betroffen sind etwa zwei große chinesische Raffinerien und Chinaoil Hong Kong, eine Handelssparte von PetroChina. Diese verarbeiten importiertes russisches Öl. Gemeinsam mit den G7-Staaten versucht die EU, Russlands Mittel zur Finanzierung seines Krieges in der Ukraine weiter zu schmälern, indem sie die für Moskau lebenswichtigen Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung kürzt.

Verteidigung aller Land-, Luft- und Seegrenzen der EU ist sicherzustellen

"Der Europäische Rat verurteilt die Verletzung des Luftraums mehrerer Mitgliedstaaten und betont, wie wichtig es ist, die Verteidigung aller Land-, Luft- und Seegrenzen der EU sicherzustellen. Die unmittelbaren Bedrohungen an der Ostflanke der EU und die Bereitstellung konkreter Unterstützung für die Mitgliedstaaten müssen vorrangig angegangen werden", heißt es im Abschnitt der Schlussfolgerungen zur Verteidigung. Zentrale Punkte der "Roadmap für Verteidigung" der EU-Kommission sind die Drohnenabwehr mittels der "Europäischen Drohnen-Verteidigungsinitiative".

Der Europäische Rat habe eine Bestandsaufnahme der Arbeiten vorgenommen, die darauf abzielen, die Verteidigungsbereitschaft Europas bis 2030 entscheidend zu verbessern. Die Entschlossenheit, "dieses Ziel zügig und in großem Umfang zu erreichen", wird bekräftigt. Europa müsse "autonom, koordiniert und mit einem 360°-Ansatz auf unmittelbare und künftige Herausforderungen und Bedrohungen reagieren" können. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Auswirkungen auf die europäische und globale Sicherheit stellten "eine existenzielle Herausforderung für die Europäische Union" dar.

Der Europäische Rat würdigt die bereits von den Mitgliedstaaten geleistete Arbeit und fordert sie auf, die Bildung von Fähigkeitskoalitionen in allen vorrangigen Bereichen bis Ende des Jahres abzuschließen und konkrete Projekte voranzutreiben, die in der ersten Hälfte des Jahres 2026 gestartet werden sollen. Die Arbeit sollte sich insbesondere auf Projekte zur Verbesserung der Fähigkeiten zur Drohnenabwehr und zur Luftverteidigung konzentrieren. Der Gipfel will auch die Rolle der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) stärken, und hier bis Ende des Jahres konkrete Vorschläge des Rates sehen. Die Rolle der EDA im Verhältnis zur NATO sorgte zuletzt für viele Diskussionen.

(APA)

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