Obwohl die Regierung in Rom offiziell an der Kandidatur ihres designierten EU-Justiz- und Innenkommissars Rocco Buttiglione festhält, sucht der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi am Donnerstag fieberhaft nach einer Alternative zum umstrittenen Christdemokraten, Papst-Freund und Philosophen. Indiskretionen zufolge sind Verhandlungen im Gange, um Buttiglione zum Amtsverzicht zu überreden.
Der designierte EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso – auf nationale Nominierungen hin für die Funktionsverteilung der Kommission verantwortlich – schloss indes erstmals weitergehende Änderungen an seinen Kandidatenvorschlägen nicht mehr aus. Möglicherweise wird die alte Kommission unter Romano Prodi interimistisch über den 1. November hinaus weiter im Amt verbleiben.
Ein einfaches Austauschen von Buttiglione reiche nicht aus, sagte Barroso dem britischen Sender BBC. Es werde allerdings auch keinen völligen Neuanfang geben. Aber natürlich kann es auch bedeuten, dass es nicht nur eine Änderung, sondern mehrere Änderungen gegeben könnte, sagte er. Dem französischen Sender Europa 1 sagte er, der Umbau könnte deutlich weniger als acht oder zehn der 25 Kommissare betreffen und innerhalb eines Monates abgeschlossen sein. Einzelheiten nannte er nicht.
In Rom gilt mittlerweile Außenminister Franco Frattini als aussichtsreichster Kandidat für den Posten eines italienischen EU-Kommissars. Alternative Kandidaten sind auch Ex-Wirtschaftsminister Giulio Tremonti sowie der scheidende EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti. Dieser war von der Regierung Berlusconi nicht bestätigt worden, weil der Ministerpräsident ihm nicht verziehen hatte, den im Juli von Tremonti freigelassenen Posten des Wirtschaftsministers nicht akzeptiert zu haben. Über eine Alternative zu Buttiglione soll Berlusconi auch mit dem scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi bei einem Treffen in Rom diskutiert haben.
Außenminister Frattini beschuldigte derweil die italienische Linke, den Fall Buttiglione aus politischen Gründen auszuschlachten. Es gibt keinen Fall Buttiglione. Das EU-Parlament hat lediglich Bedenken zu einigen Mitgliedern der Kommission geäußert, was in einer Demokratie normal ist, meinte Frattini. Er bestätigte das Vertrauen der Regierung Berlusconi in Barroso.
Neben Buttiglione gelten auch die designierte Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes aus den Niederlanden, die dänische Agrarkommissarin Mariann Fischer-Boel sowie die lettische Steuerkommissarin Ingrida Udre als Problemfälle. Besonders negativ fiel die Beurteilung der Kompetenzen des designierten ungarischen Energiekommissars Laszlo Kovacs aus.
Barroso hatte sich am Mittwoch nach massiver Kritik des EU-Parlaments an diesen Kandidaten gezwungen gesehen, seinen Kommissionsentwurf zurückzuziehen. Damit kam er einer Ablehnung zuvor, die ihn politisch stark geschwächt hätte. Der Vorgang ist einmalig in der Geschichte der Europäischen Union.
EU-Kommissar Günter Verheugen sieht Barrosos erzwungenen Rückzieher aber nicht als Krise, sondern als Chance für die EU: Die Position des Kommissionspräsidenten sei durch den Streit gestärkt worden, meine er in einem Interview. Mit der Rücknahme seines Kommissionsvorschlags habe Barroso klar gestellt, dass es Konsequenzen geben müsse, wenn einzelne Kandidaten die Anhörung durch Parlamentsausschüsse nicht überstünden.
Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker bekräftigte, dass nun die Regierungschefs der Mitgliedstaaten am Zuge seien. Barroso sei in der relativ unkomfortablen Lage, dass er Politik mit Kommissaren machen müsse, die er nicht benannt habe, die er aber durchs Parlament bringen müsse. Ich habe große Zweifel, ob die Regierungschefs verstanden haben, was hier passiert ist. Es wäre schlecht, wenn sie auf Durchhalten setzten. Die Regierungschefs dürften keinen Dauerkonflikt mit dem Parlament programmieren.
Unterdessen gingen in Rom am Donnerstag die Vorbereitungen für die feierliche Unterzeichnung der EU-Verfassung weiter, die am Freitag in Anwesenheit der Staats- und Regierungschefs der 25 Mitgliedsländer und ihrer Außenminister erfolgen soll. Österreich wird durch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Außenministerin Ursula Plassnik (beide V) vertreten sein. Nach der Unterzeichnung muss der Vertrag in allen Mitgliedsländern ratifiziert werden, in einigen Ländern – nicht in Österreich – sind auch nationale Referenden vorgesehen.