NATO berät sich wegen russischen Luftraumverletzungen

Der NATO-Artikel 4 sieht Beratungen mit den Verbündeten vor, wenn sich ein NATO-Staat von außen gefährdet sieht. Estland hatte dies beantragt, nachdem drei russische Kampfflugzeuge Armeeangaben zufolge am Freitag unerlaubt in den Luftraum des EU- und NATO-Staats eingedrungen waren. Der Vorfall habe gezeigt, dass die NATO-Luftabwehr effektiv und gut funktioniere und auch die Bereitschaft bestehe, notfalls Gewalt anzuwenden, sagte Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur nach einem Treffen im Parlament in Tallinn. Dort kamen der Nationale Verteidigungsausschuss sowie der Auswärtige Ausschuss zu einer gemeinsamen außerordentlichen Sitzung zusammen. Auch Außenminister Margus Tsahkna sagte: "Die NATO hat angemessen reagiert."
Polen meldete zudem am Freitagabend, zwei russische Kampfjets hätten sich im Tiefflug einer polnischen Bohrinsel in der Ostsee genähert und dabei eine Sicherheitszone über der Anlage verletzt. Sie hätten die Bohrplattform Petrobaltic in einer Flughöhe von 150 Metern angeflogen, hieß es. Zur Verletzung der Staatsgrenze sei es nicht gekommen.
Verbaler Schlagabtausch zwischen Estland und Russland
Russlands Regierung wies die Darstellung Estlands zurück, dass drei russische Kampfjets den Luftraum des baltischen NATO-Landes verletzt haben sollen. "Der Flug wurde unter strikter Einhaltung der internationalen Luftraumregeln durchgeführt, ohne die Grenzen anderer Staaten zu verletzen", teilte das Verteidigungsministerium in Moskau laut der staatlichen Nachrichtenagentur TASS mit.
"Während des Fluges wichen die MiG-31-Jets nicht von der abgesprochenen Flugroute ab und verletzten nicht den estnischen Luftraum", hieß es weiter. Vielmehr habe die Route über neutrale Gewässer mehr als drei Kilometer nördlich der estnischen Ostsee-Insel Vaindloo geführt. Das Militär in Moskau sprach von einem Überführungsflug der MiG-31 aus Russland in die Exklave Kaliningrad, der estnische Luftraum sei nicht berührt worden.
Das Verteidigungsministerium in Tallinn veröffentlichte auf dem Portal X eine Karte mit der eigenen Darstellung der Flugroute der drei russischen Maschinen. Demnach flogen die Russen am Freitag nicht in dem schmalen internationalen Korridor über dem Finnischen Meerbusen, sondern etwa zehn Kilometer tief im estnischen Luftraum. Der Flug führte demnach in gerader Linie an der Ostseeküste Estlands entlang. Die Jets der Russen seien schließlich von NATO-Kampfflugzeugen aus Italien aus dem Luftraum eskortiert worden, hieß es. Die Verletzung des NATO-Luftraums habe etwa zwölf Minuten gedauert.
NATO-Partner setzen auf neue Technik und Ukraine-Ausbildung
Luftraumverletzungen durch Russland sorgten zuletzt zunehmend für Unruhe unter den NATO-Verbündeten in Europa, immer wieder ist die Rede von Provokationen. Bei einem russischen Luftangriff auf die Ukraine war erst in der vergangenen Woche eine große Zahl von Drohnen in den Luftraum Polens und damit der NATO geflogen. Die polnische Luftwaffe und andere NATO-Verbündete schossen erstmals einige der Flugkörper ab.
NATO-Partner setzen wegen der zunehmenden russischen Luftraumverletzung im Osten und Südosten des Bündnisgebietes auf den kurzfristigen Einsatz eines türkischen Aufklärungssystems. Polen und Rumänen sollen mit dem türkischen Luftüberwachungssystem "Merops" ("Multispectral Extended Range Optical Sight") ausgestattet und darauf trainiert werden. Das System kann an Hubschraubern und Drohnen angebracht werden und durch Wolken und Staub hindurch feindliche Systeme orten.
Tanner: Russland versucht zu testen
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) bezeichnete die "erneuten Luftraumverletzungen, dieses Mal über Estland, durch die russische Föderation" als "besorgniserregend". In einem Post auf X erklärte sie am Samstag: "Offensichtlich versucht Russland, die europäischen Infrastrukturen und Alarmketten zu testen. Das sind gezielte Provokationen, die auf das schärfste zurückzuweisen."
Experte fordert Abschuss von russischen Flugzeugen
Der deutsche Sicherheitsexperte Nico Lange forderte indes den Abschuss russischer Flugzeuge und Drohnen. "Entweder schießen wir russische Flugzeuge und Drohnen ab, die unseren Luftraum verletzen oder wir ergreifen andere Konsequenzen wie z.B. das Stornieren russischer Diplomatenvisa oder das Stoppen von Schiffen der Schattenflotte", erklärte der Experte der Münchner Sicherheitskonferenz auf X.
"Wir werden Putins Aggression gegen uns nicht durch Beratungen und anschließende Beratungen über die vorherigen Beratungen stoppen."
Erneut massive russische Luftangriffe auf die Ukraine
Russland griff die Ukraine in der Nacht auf Samstag unterdessen erneut massiv aus der Luft an. Präsident Wolodymyr Selenskyj zufolge wurden dabei mindestens drei Menschen getötet und Dutzende verletzt. Moskaus Militär setzte nach Angaben aus Kiew 40 Raketen und Marschflugkörper und etwa 580 Drohnen ein.
Die polnische Armee teilte am Morgen mit, dass wegen Angriffen auf die Ukraine im grenznahen Gebiet polnische und verbündete Kampfflugzeuge aufgestiegen seien. Die bodengestützte Luftabwehr sei "in höchste Alarmbereitschaft" versetzt worden, hieß es in der Mitteilung auf der Plattform X. Auf ähnliche Weise reagieren polnische und NATO-Kampfflugzeuge regelmäßig, wenn Russland ukrainische Gebiete nahe der polnischen Grenze angreift.
(APA/dpa)