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Erste Rücktritte in Tunesiens Übergangsregierung

Tunesien kommt nach der Einsetzung einer von Repräsentanten des bisherigen Regimes dominierten Übergangsregierung nicht zur Ruhe. Aus Protest gegen den Verbleib alter Kräfte an der Macht gingen am Dienstag erneut Regimegegner in Tunis auf die Straße. Die Wut richtet sich vor allem gegen die bisherige Staatspartei RCD, die inzwischen ihre Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationale (SI) verloren hat.
Regierung der nationalen Einheit gebildet

Die mächtige Gewerkschaft UGTT gab unterdessen bekannt, sie ziehe ihre drei Minister aus dem erst am Vortag gebildeten und “Regierung der nationalen Einheit” genannten Übergangskabinett des alten und neuen Premierministers Mohamed Ghannouchi zurück. Ghannouchi, ein früherer treuer Gefolgsmann des nach Saudi-Arabien geflüchteten Ex-Machthabers Zine el-Abidine Ben Ali, kündigte unterdessen an, die Verantwortlichen für den Tod von insgesamt 78 Oppositionsanhängern vor Gericht zu bringen.

Dass Führungskräfte des Ben-Ali-Regimes ihre Spitzenämter behalten, stößt allgemein auf Unmut. Man wolle niemanden mehr von der RCD, “das ist das alte, korrupte System”, riefen Demonstranten auf der Avenue Bourguiba im Zentrum von Tunis. “Weg mit der RCD!”, hieß es auf Transparenten. “Wir müssen aufpassen, dass man uns nicht unsere Revolution stiehlt”. Die in die Regierung aufgenommene legale Opposition ist allerdings schlecht aufgestellt, die meisten ihrer Funktionäre sind alt und der Öffentlichkeit wenig bekannt. Die als stärkste oppositionelle Kraft geltende verbotene Islamisten-Partei Ennahdha wurde nicht an der Übergangsregierung beteiligt.

Ein Passant fasste die Kritik der Bevölkerung mit den Worten zusammen: “Wir trauen dieser Regierung nicht. Das sind doch dieselben Gesichter, allen voran (Premier) Ghannouchi und (Innenminister Ahmed) Friaa. Das ist, als wäre Ben Alis System immer noch da. Deswegen gehen die Demonstrationen weiter. Wir wollen einen neuen Staat, mit neuen Leuten an der Spitze.”

Die UGTT-Führung hat unterdessen ihre drei Vertreter in der Regierung aufgerufen, sich aus dem Kabinett zurückzuziehen, sagte ein Sprecher der Arbeitnehmerorganisation. Die UGTT ist die einzige große Gewerkschaft in Tunesien. Sie hatte bei den Protesten gegen Ben Ali eine zentrale Rolle gespielt. Laut dem Gewerkschaftssprecher traten nun auch die UGTT-Vertreter zurück, die bisher im Parlament vertreten waren.

Premier Ghannouchi verteidigte den Verbleib mehrerer Minister aus der Zeit Ben Alis im Kabinett. “Sie haben saubere Hände”, sagte er dem französischen Sender Europe 1. “Sie haben ihre Posten behalten, weil wir sie jetzt brauchen.” Ghannouchi selbst ist seit 1999 Regierungschef und ein enger Weggefährte Ben Alis, der nach wochenlangen Protesten am Freitag nach Saudi-Arabien geflohen war. Der Premier sprach sich gegen die Rückkehr des 1991 zu lebenslanger Haft verurteilten Islamisten-Chefs Rached Ghannouchi aus dessen Londoner Exil aus. Dazu müsse erst ein Amnestiegesetz verabschiedet werden, betonte der Regierungschef.

Die unter Ben Ali verbotene islamistische Ennahdha-Partei kündigte unterdessen an, sie werde keinen Kandidaten für die angekündigte Präsidentschaftswahl stellen. Ein Sprecher kritisierte das Übergangskabinett gleichzeitig als Regierung der “Ausgrenzung”.

Die Lage im Land blieb indes weiter angespannt. Der deutsche Reiseveranstalter TUI sagte alle Reisen nach Tunesien bis einschließlich 15. Februar ab. Bis zum Anreisetermin 14. April sei die Umbuchung zudem gratis, hieß es in einer Aussendung von TUI Österreich am Dienstag. Ob TUI danach wieder Urlauber nach Tunesien bringe, hänge von der dortigen Lage ab.

Die Sozialistische Internationale hat unterdessen die Partei Ben Alis ausgeschlossen. Dies gab am Dienstag der deutsche Fraktionschef der Sozialdemokraten und Sozialisten im Europaparlament, Martin Schulz, bekannt. Ben Alis RCD sei seit den 70er Jahren Mitglied in der SI gewesen, sagte Schulz vor Journalisten im Straßburger Europaparlament. Diese Mitgliedschaft sei nun beendet.

In Frankreich gab unterdessen ein Regierungsmitglied erstmals zu, den Frust der Bevölkerung in Tunesien unterschätzt zu haben. Die einstige Protektoratsmacht Frankreich habe “wie viele andere” den Grad der Verzweiflung in der Bevölkerung gegen einen Polizeistaat wie den von Ben Ali nicht erfasst, sagte Verteidigungsminister und Ex-Premier Alain Juppé dem TV-Sender RTL.

Außenminister Kamel Morjane versicherte, die Regierung werde die Ursachen der Proteste wie Korruption und die schlechte wirtschaftliche Lage anpacken. Die neue Regierung der Einheit sei eine Übergangsregierung und genieße die Unterstützung vieler Parteien, sagte Morjane bei einer Pressekonferenz im ägyptischen Sharm el-Sheikh.

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