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Erste Judendeportationen aus Wien nach Nisko vor 80 Jahren

Vor 80 Jahren fanden die ersten Deportationen von Wien nach Nisko statt.
Vor 80 Jahren fanden die ersten Deportationen von Wien nach Nisko statt. ©APA/dpa/Julian Stratenschulte
Die ersten Deportationen von Juden aus Wien wurden vor 80 Jahren durchgeführt. Rund 1.600 Menschen sollten nach Nisko gebracht werden- die meisten kehrten nicht mehr zurück.

Vor 80 Jahren wurden die ersten Deportationen von Juden aus Wien durchgeführt. Am 20. Oktober 1939 fuhr ein Zug mit 912 Personen vom Aspangbahnhof ab. Sein Ziel war Nisko, eine Kleinstadt im von den Nazis kurz zuvor besetzten Teil Polens. Am 26. Oktober folgte der zweite Zug mit 672 Personen. Die meisten kamen nicht mehr zurück.

"Zentralstelle für Jüdische Auswanderung" unter Adolf Eichmann

Nach dem Einmarsch und dem "Anschluss" Österreichs ans Deutsche Reich wollten die Nationalsozialisten die Juden so schnell wie möglich loswerden. Schon im August 1938 wurde die "Zentralstelle für Jüdische Auswanderung" in Wien gegründet, eine Behörde die damals unter Leitung des SS-Hauptsturmführers Adolf Eichmann stand. Zunächst wurde die Flucht der Juden in andere Länder beschleunigt, nachdem sie zuvor diskriminiert und ausgeraubt wurden. Dann kam die Idee eines "Judenreservats" im eben erst besetzten Polen auf, an der Demarkationslinie zur Sowjetunion. Aus dem ganzen deutschen Einflussgebiet sollten die Juden hingeschickt werden, um hier zu leben. Den Anfang sollten österreichische, tschechische und polnische Juden machen. Eichmann war persönlich in Nisko und überwachte den Beginn der Aktion.

IKG musste Listen mit arbeitsfähigen Männern in Wien vorlegen

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) in Wien wurde aufgefordert, Listen mit arbeitsfähigen Männern ohne großes Vermögen vorzulegen, bevorzugt Handwerker, die mit den Transporten in das besetzte Polen geschickt werden sollten. Im Herbst 1939 waren noch rund 66.000 Personen jüdischen Glaubens in Wien bei der IKG erfasst, der Großteil der jüdischen Bevölkerung war angesichts der Entrechtung und Verfolgung durch die Nazis bereits geflüchtet. Einige wenige meldeten sich tatsächlich mehr oder weniger freiwillig für die "Umsiedlung" nach Nisko, denn es gab bereits komplettes Berufsverbot für die Juden, die daher zunehmend verarmt und von Hilfen der Kultusgemeinde abhängig waren. Sie dachten, sie könnten in Nisko zumindest in Frieden und von eigener Arbeit leben. Die übrigen wurden dann von der IKG auf die Liste gesetzt, geht aus Berichten hervor.

Zahlreiche Wiener Juden wieder verjagt

Die Leute konnten bis zu 50 Kilogramm Gepäck mitführen, viele Handwerker nahmen ihre Werkzeuge mit. Ein Teil ihres Geldes wurde ihnen während der Zugfahrt geraubt, unter dem Vorwand dass es umgewechselt werden müsse. Auch ihre Pässe wurden ihnen abgenommen. Angekommen in Nisko mussten sie nach Zarzecze marschieren, ein Vorort der Stadt am Fluss San. Dort wurden aber nur 200 der Wiener Juden ausgesucht, um das Lager mit mitgebrachten Baumaterialien zu errichten. Die übrigen wurden sofort mit Waffengewalt in die umliegenden Wälder vertrieben. Sie sollten doch in die Sowjetunion gehen, hieß es.

"Geht zu euren roten Brüdern", riefen die SS- und Gestapo-Männer ihnen zu. Das Gepäck wurde vielen von den Nazi-Wachleuten oder ihren Hilfskräften geraubt. "Einer hat nicht wollen vom Platz gehen, den haben sie erschossen, einer von uns, ein junger Mensch mit 18, 19 Jahr", erinnerte sich Leopold Sonnenfeld, einer der überlebenden Wiener Juden. Nach einigen Tagen in den Wäldern auf der Flucht vor den Nazis habe man in der Nacht mit Hilfe von Schleppern den Grenzfluss San überquert.

Dort mussten die sowjetischen Grenzbeamten zuerst klären, ob sie überhaupt einreisen durften, erschöpfte Männer aus Wien ohne Ausweise und ohne Gepäck. Die Sowjets verdächtigten sie der Spionage. Zwar wurden sie dann hineingelassen, fanden jedoch im Grenzgebiet keine Zuflucht. Nach dem Überfall der Nazis auf Polen war die Lage dort chaotisch, tausende Flüchtlinge waren unterwegs. Viele Wiener Juden schlugen sich weiter bis zur Stadt Lemberg (Lviv) durch, wo damals eine große jüdische Gemeinde lebte.

Verbliebene mussten selbst ein Lager aufbauen

Die in Nisko bzw. Zarzecze Verbliebenen mussten selber ein Lager aufbauen. Mit unzureichenden Mitteln wurden schließlich einige Baracken errichtet. Die ersten Tage schliefen sie auf freiem Feld. Nicht nur Wiener Juden wurden dorthin "ausgesiedelt": Nach Nisko wurden im Herbst 1939 insgesamt fünf Transporte geschickt: Der erste mit 901 Juden aus Mährisch-Ostrau im Nordosten des "Protektorats Böhmen und Mähren", dann die zwei genannten Züge aus Wien, ein weiterer aus Mährisch-Ostrau mit etwa 400 Juden und etwa 1.000 Personen kamen aus Kattowitz in Schlesien. Insgesamt also rund 3.900 Menschen, die plötzlich ihre Heimat verlassen mussten und sich völlig entwurzelt und hilflos im Krisengebiet wiederfanden. Die meisten kamen gar nicht in das zu errichtende Lager, sondern wurden gleich vertrieben. Einige fanden vorübergehend bei jüdischen Gemeinden in der Gegend Zuflucht. Die meisten versuchten, vor den Nazis in den von der Sowjetunion besetzten Teil Polens zu fliehen.

1940: 198 Personen kehrten nach Wien zurück

Die Nazis ließen den Plan eines großen "Judenreservats" im Generalgouvernement bald fallen, einerseits wegen mangelhafter Planung und auch wegen Widerstands des Generalgouverneurs Hans Frank. Von den seit Oktober 1939 in Zarzecze bei Nisko festgehaltenen Männern kehrten im Frühjahr 1940 nach Auflösung des Lagers 198 Personen nach Wien zurück. Auch nach Mährisch-Ostrau gab es einen Rücktransport. Das war das einzige Mal, dass deportierte Juden wieder in ihre Heimatorte zurückgebracht wurden, wenn auch nur ein geringer Teil der Deportierten. Für viele bedeutete diese Rückkehr jedoch, dass sie mit ihren in Wien verbliebenen Familien bei den späteren Deportationen in den Osten erfasst wurden und in den Vernichtungslagern Auschwitz, Maly-Trostinez oder Chelmno ermordet wurden.

Von den aus Nisko in die Sowjetunion geflüchteten Wienern wurden viele vom Geheimdienst NKWD verfolgt und in sowjetische Zwangsarbeitslager gesperrt, denn sie waren als Ausländer und Juden sowie wegen ihrer Kontakte in ihre Heimatländer gleich mehrfach verdächtig. Einige schrieben verzweifelte Briefe nach Hause über ihr ärmliches Leben, die von der Zensur gelesen wurden. Manche stellten bei den sowjetischen Behörden Gesuche, ihre Verwandten aus Wien einreisen zu lassen, was oft mit ihrer Einweisung in ein Sowjet-Lager endete. Diejenigen, die in Lemberg und Umgebung blieben, fielen nach dem Angriff des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion im Juni 1941 zum großen Teil den "SS-Einsatzgruppen" zum Opfer. Die Wiener wurden zusammen mit den dort eingesessenen Juden in Ghettos gesperrt und ermordet. Das genaue Schicksal ist bei den meisten nicht bekannt. Auf den nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien ausgestellten Totenscheinen hieß es dann "Letzter Wohnort: Nisko".

(APA/REd)

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