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Ernst Strasser erneut schuldig gesprochen: Dreieinhalb Jahre Haft

Strasser-Prozess: Dreieinhalb Jahre Haft wegen Bestechlichkeit
Strasser-Prozess: Dreieinhalb Jahre Haft wegen Bestechlichkeit ©APA
Mit einem neuerlichen Schuldspruch im Sinn der Anklage ist am Donnerstagabend für den ehemaligen Innenminister und EU-Abgeordneten Ernst Strasser (ÖVP) der Prozess in der sogenannten Lobbying-Affäre zu Ende gegangen. Strasser wurde im Wiener Straflandesgericht wegen Bestechlichkeit zu dreieinhalb Jahren unbedingter Haft verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Außerdem legte der Schöffensenat (Vorsitz: Helene Gnida) ausdrücklich fest, dass die Fußfessel für Strasser für die Hälfte der verhängten Strafe ausgeschlossen ist. Das bedeutet, dass Strasser – sollte das Urteil in Rechtskraft erwachsen – , jedenfalls 21 Monate absitzen müsste, ehe er den elektronisch überwachten Hausarrest beantragen kann. Dieser explizite Ausspruch ist vom Gesetz in Fällen vorgesehen, wo nach Ansicht des Gerichts der Hausarrest nicht ausreicht, um den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten oder generalpräventive Gründe bzw. das Nachtatverhalten der Fußfessel entgegenstehen.

Verteidiger Thomas Kralik legte gegen das Urteil unverzüglich Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung ein. Während Strasser seine neuerliche Verurteilung – im Jänner 2013 hatte er im ersten Rechtsgang vier Jahre Haft erhalten, der Oberste Gerichtshof (OGH) hob dieses Urteil aufgrund von Verfahrensmängeln auf – nicht kommentieren wollte, gab sich Kralik zuversichtlich, dass auch dieses Urteil nicht halten wird. Es sei “erstaunlich, dass das Erstgericht die Vorgaben des OGH nicht beachtet hat und einfach drübergefahren ist”, meinte der Verteidiger. Die dreieinhalbjährige Freiheitsstrafe bezeichnete Kralik als “deutlich überzogen”. Dass der ehemalige Innenminister tatsächlich ins Gefängnis muss, hielt sein Anwalt unter Verweis auf die von ihm angemeldeten Rechtsmittel für ausgeschlossen: “Am Ende des Tages ist es natürlich ein Freispruch.”

Strasser war in seiner Funktion als damaliger ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament über zwei britische Enthüllungsjournalisten gestolpert, die als vermeintliche Lobbyisten an ihn herantraten. Er ließ sich ab November 2010 auf mehrere Treffen mit den beiden ein und erklärte sich – so der Vorwurf der Anklage – für ein jährliches Honorar von 100.000 Euro zur entgeltlichen Einflussnahme auf die EU-Gesetzwerdung bereit. Die Besprechungen wurden von den Journalisten, die neben Strasser auch andere EU-Parlamentarier auf ihre Bestechlichkeit “abgetestet” hatten, teilweise heimlich mitgeschnitten. Nach der Veröffentlichung der Video-Clips musste Strasser Ende März 2011 zurücktreten.

Strasser habe als Mitglied des EU-Parlaments und damit als Amtsträger für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäftes für sich einen Vorteil gefordert, stellte Richterin Helene Gnida in ihrer ausführlichen Urteilsbegründung fest. Für ein Honorar von zumindest 100.000 Euro im Jahr habe er zugesagt, auf den legislativen Prozess im Sinne seiner vermeintlichen Auftraggeber Einfluss zu nehmen, erläuterte Gnida.

Konkret zum Verhängnis wurden Strasser jene Gespräche, die er mit den vorgeblichen Lobbyisten am 11. November sowie am 3. Dezember 2010 führte. Bei ersterem verlangte er nach Ansicht des Gerichts das Honorar, indem er in Brüssel den Journalisten erklärte, seine Klienten würden ihm üblicherweise für ein Jahr 100.000 Euro zahlen. Damit, dass der mögliche Vertrag offiziell mit Strassers Gesellschaft geschlossen werden sollte, sollte der Zweck der Umgehung verfolgt werden, meinte die Richterin.

Bei der folgenden Besprechung im Dezember in London habe Strasser erneut das Honorar gefordert, indem er – auf die Konditionen angesprochen – “Wie Sie wünschen” und “Wenn es etwas zu tun gibt, lassen Sie es mich wissen” erwidert habe.

Der Senat hatte aufgrund der Vorgaben des OGH ganz genau herauszuarbeiten, welche Richtlinien der Angeklagte konkret vor Augen hatte. “Ausführungshandlungen” bzw. Beeinflussung ortete der Senat demnach bei einer Richtlinie zur Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektrogeräten, der Elektroschrottrichtlinie sowie einer Richtlinie zu genetisch verändertem Saatgut. Nicht verurteilt wurde Strasser demgegenüber im Hinblick auf eine Anlegerschutzrichtlinie. Zwar habe Strasser diesbezüglich mehrere Akte gesetzt, um seine ÖVP-Kollegen in Richtung eines Abänderungsantrags zu beeinflussen, und es sei eindeutig, dass seine Interventionen etwa bei Othmar Karas (ÖVP) ausschließlich in Verbindung mit seiner Forderung standen, jedoch gebe es keinen Beweis, dass Strasser bereits beim Treffen am 3. Dezember 2010 diese Richtlinie überhaupt kannte, führte Gnida aus.

Aufgrund von E-Mails, Zeugenaussagen und der aufgezeichneten Gespräche müsse Strassers Verantwortung, er habe prüfen wollen, ob es sich bei den Lobbyisten um Agenten handle, “als Schutzbehauptung gewertet werden”, betonte Gnida. Der Senat habe bis zuletzt nicht verstanden, was ein Geheimdienst von Strasser überhaupt hätte wollen. “Als Geisel nehmen? Erpressen? Warum ist das keinem anderen Abgeordneten passiert? Und würde man nicht seine Kollegen und sein Büro warnen und Zeugen zu den Gesprächen mitnehmen?”, stellte die Richterin in den Raum.

Gnida nannte Strassers Verantwortung “lebensfremd” und ortete bei diesem einen “erfundenen Geschehensablauf”. “Wenn das Kartenhaus im Vorhaus zu bröckeln beginnt und spätestens im Wohnzimmer zusammenstürzt, kann man nur eine Schutzbehauptung konstatieren”, stellte die Richterin fest.

Die Strafdrohung betrug bis zu sieben Jahre – weil Strasser die Taten im Ausland begangen hatte, musste auf die belgische und britische Rechtsordnung Bedacht genommen werden. Als mildernd wertete das Gericht Strassers bisherige Unbescholtenheit. Erschwerend war für den Senat “kein Umstand”, so Gnida abschließend.

(APA)

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