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"Erfrischend wenig präsidiabel"

2004 war er in der Öffentlichkeit weithin unbekannt, nun ist er zum beliebtesten Politiker Deutschlands aufgestiegen. Vor einem Jahr wurde Horst Köhler zum neunten Bundespräsidenten der BRD gewählt.

Am Montag vor einem Jahr wählte die Bundesversammlung den Kandidaten der konservativ-liberalen Opposition, Horst Köhler, zum neunten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Seit dem 1. Juli, als er vereidigt wurde, ist der Ex-IWF-Chef als Staatsoberhaupt präsent – durch seine zahlreichen Antrittsbesuchen im In- und Ausland und vor allen Dingen durch seine gesellschaftspolitischen Vorstöße.

Beifall von Opposition, Kritik von Regierung

Während er im konservativen Lager und bei den Arbeitgebern auf Zustimmung stößt, gibt es in der rot-grünen Koalition Kritik an seinem Politikstil. Doch Einigkeit herrscht in einem Punkt: „Er spricht nicht in schablonenartigen Worthülsen wie andere Politiker“, bilanziert der Politologe Peter Lösche.

Bei seinem Antritt hatte Köhler, der nach monatelangem Personal-Hick-Hack ziemlich überraschend von Union und FDP zum Kandidaten nominiert worden war, eins gleich klar gemacht. Er wolle offen und notfalls unbequem sein, war die Botschaft des Nachfolgers des Sozialdemokraten Johannes Rau. Das bewies der 62-Jährige in den vergangenen Monaten – und stieß damit nicht immer auf Gegenliebe.

Innenpolitische Akzente

Insbesondere innenpolitisch wollte er deutliche Akzente setzen. Für große Aufregung sorgte seine Aussage im vergangenen September über Lebensverhältnisse in Ost und West, die schwer anzugleichen seien. Auch als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) laut darüber nachdachte, den „Tag der deutschen Einheit“ auf den ersten Sonntag im Oktober zu verlegen, um einen Feiertag abzuschaffen, intervenierte der Bundespräsident prompt. Beim Luftsicherheitsgesetz stellte sich Köhler ebenfalls quer. Er beurkundete zwar das umstrittene Gesetz, bei dem als letztes Mittel der Abschuss eines Passagierflugzeuges erlaubt ist, empfahl aber eine verfassungsrechtliche Überprüfung.

In einer Rede vor Wirtschaftsvertretern im März rief Köhler Regierung und Opposition auf, dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit alles andere unterzuordnen. Deutschland brauche eine „politische Vorfahrtsregel für Arbeit“. Die Gewerkschaften geißelten die Rede als „Ansammlung wirtschaftsliberaler Glaubenssätze“.

Eigene Linie

Doch für andere fällt die erste Bilanz überwiegend positiv aus: Seit der Debatte um den 3. Oktober habe Köhler eine „eigenständige Linie entwickelt“, resümiert Politikexperte Heinrich Oberreuter. Er sei nicht so „burschikos“ wie Roman Herzog (1994-1999) und „prätenziös“ wie Richard von Weizsäcker (1984-1994), seine konservativen Vorgänger, sondern „erfrischend wenig präsidiabel“. So weicht Köhler, der bei seinen ersten offiziellen Terminen oft steif und hölzern wirkte, mittlerweile öfters vom Protokoll ab.

Der Kontakt zu den Menschen ist ihm wichtiger: Zum Unbehagen der Sicherheitsbeamten diskutiert er zusammen mit Frau Eva auch schon mal gerne mit Anti-Hartz-Demonstranten und zwar nicht nur zehn Sekunden, sondern zehn Minuten.

Frische Sprache

Politikexperte Lösche lobt so auch Köhlers „frische unkonventionelle Sprache“. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler, der unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) Berater und Unterhändler in Wirtschafts- und Finanzfragen war, profiliere sich als „Reformpräsident“. Doch Köhler dürfe das nicht überstrapazieren.

Seine Anregungen seien manchmal „technokratisch“ und unausgewogen, sagt Lösche. Er müsse mehr Wert auf Integration legen. Oberreuter vermisst bei Köhler den „politisch-kulturellen Hintergrund“. Er solle Jahrestage dazu nutzen, sich deutlicher zu positionieren, sagt er mit Blick auf Köhlers Rede zum 8. Mai. Mit seiner Kritik steht der Politikwissenschaftler nicht alleine da.

Vorwurf: Zu wenig positioniert

SPD-Abgeordnete hatten Köhler vorgeworfen, er habe sich bei dieser Rede zu wenig gegen den Rechtsextremismus gestellt und zu viel nationales Selbstbewusstsein verbreitet. Einen anderen heiklen Termin meisterte Köhler jedoch mit viel Fingerspitzengefühl. Bei seinem ersten Besuch in Israel im Februar bedankte er sich im Parlament auf Hebräisch für die Einladung und sprach dann auf Deutsch weiter. Einige Abgeordnete hatten zuvor in Frage gestellt, ob der Repräsentant der Bundesrepublik in der Knesset überhaupt Deutsch sprechen dürfe.
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