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Erfolg für Erdogan: Hagia Sophia darf in Moschee umgewandelt werden

Die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei, wonach die Hagia Sophia in Istanbul wieder eine Moschee werden darf, hat nicht nur Empörung und Entsetzen bei der UNESCO und der orthodoxen Kirche ausgelöst.
Die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei, wonach die Hagia Sophia in Istanbul wieder eine Moschee werden darf, hat nicht nur Empörung und Entsetzen bei der UNESCO und der orthodoxen Kirche ausgelöst. ©BULENT KILIC / AFP
Gericht erkennt den Museums-Status des UNESCO-Weltkulturerbes ab - und ermöglicht die Umwandlung in eine Moschee. Die einstige Hauptkirche Konstantinopels kann nun für muslimische Gottesdienste genutzt werden.
Hagia Sophia: Entscheidung liegt bei Erdogan
Das ist die Hagia Sophia in Istanbul

Erst war sie eine Kirche, dann eine Moschee, dann ein Museum. Seit mehr als 1.000 Jahren gilt sie als DAS Wahrzeichen Istanbuls: die Hagia Sophia.

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Nun ist wieder ein Streit um den prunkvollen Kuppelbau neu aufgeflammt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will die Kathedrale wieder zu einer Moschee machen. Der Status des Bauwerks ist ein Politikum.

Foto: Ozan KOSE / AFP

Museumsstatus aberkannt

Das Oberste Verwaltungsgericht der Türkei hat am Freitag den Weg dafür geebnet, die weltberühmte Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee umzuwandeln. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, erkannte das Gericht den seit 1935 bestehenden Status eines Museums für den Kuppelbau aus dem 6. Jahrhundert ab.

Stattdessen könne die Hagia Sophia für muslimische Gottesdienste genutzt werden, hieß es in der Gerichtsentscheidung. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Umwandlung in ein Museum zuletzt als "großen Fehler" bezeichnet.

Die im sechsten Jahrhundert erbaute Hagia Sophia (griechisch: Heilige Weisheit), damals die größte christliche Kirche der Welt, wandelten die Osmanen nach der Eroberung Konstantinopels (heute Istanbul) 1453 in eine Moschee um. Unter Atatürk wurde sie 1934 zum Museum erklärt.

Erdogan öffnet Hagia Sophia für Gottesdienste

Nach dem Gerichtsurteil zur Umwandlung der Basilika Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee soll das Gebäude nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für muslimische Gebete geöffnet werden.

Die Hagia Sophia werde der Aufsicht der Religionsbehörde (Diyanet) unterstellt und für muslimische Gottesdienste geöffnet, erklärte Erdogan am Freitag im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Foto: Ozan KOSE / AFP

Touristen-Magnet

Die Hagia Sophia ist derzeit ein Museum und Teil des Unesco-Weltkulturerbes. Im vergangenen Jahr zog die Hagia Sophia nach offiziellen Angaben 3,7 Millionen Besucher an und war damit das meistbesichtigte Museum in der Türkei. Berühmt ist sie vor allem wegen der rund 56 Meter hohen Kuppel, die nahezu schwerelos über dem Hauptraum zu schweben scheint. Im Inneren sind die Wände mit byzantinischen Mosaiken und Marmor verziert. Um dem Bilderverbot im Islam gerecht zu werden, müssten die Mosaiken während des islamischen Gebets aber abgedeckt werden.

Sollte die Hagia Sophia wieder zur Moschee werden, könnten Touristen sie dennoch besichtigen, ähnlich wie die nahe gelegene Blaue Moschee in der Istanbuler Altstadt.

Kritiker: Ablenkungsmanöver von Erdogan

Die säkulare türkische Opposition und die USA als wichtigster Verbündeter der Türkei sind gegen eine Nutzung als Moschee.

Kritiker werfen Erdogan vor, mit der Diskussion um das Bauwerk von wirtschaftlichen Problemen ablenken zu wollen oder das Thema in der Vergangenheit vor Wahlen auf die Tagesordnung gebracht zu haben, um seine religiöse Anhängerschaft hinter sich zu vereinen.

Die größte Oppositionspartei CHP kritisiert, dass der Prozess ohnehin eine Farce sei und Erdogan die Umwandlung in eine Moschee auch einfach per Dekret anordnen könne. CHP-Sprecher Faik Öztrak meinte kürzlich zudem, dass in der Türkei ein "Ein-Mann-Regime" herrsche, die Justiz von der Regierung kontrolliert werde und nicht gegen deren Willen handele. "Sie atmet nicht mal ohne Eure Erlaubnis", sagte er an Ankara gerichtet.

Vor allem Griechenland ist wegen der Bedeutung der Hagia Sophia für die Orthodoxie gegen eine Änderung des Status. Die Entscheidung könnte die Spannungen zwischen den Nachbarländern weiter verschärfen, die sich ohnehin schon um Erdgas im östlichen Mittelmeer streiten.

Empörung und Entsetzen

Die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei, wonach die Hagia Sophia in Istanbul wieder eine Moschee werden darf, hat nicht nur Empörung und Entsetzen bei der UNESCO und der orthodoxen Kirche ausgelöst.

Dass die einstige Hauptkirche des früheren Konstantinopels den Status eines Museums verliert, stellt einen weiteren Schlag gegen den von Republiksgründer Mustafa Kemal Atatürk propagierten Lazismus in der Türkei und einen Triumph für den islamisch-konservativen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan dar.

Das Urteil könnte somit eine brisante politische Entwicklung in Gang setzen, deren Konsequenzen noch nicht absehbar sind - sowohl in der Türkei als auch international.

Erdogan forciert Reislamisierung der Türkei

Erdogan geht es vor allem um seine große Agenda: die Beerdigung des von Atatürk durchgesetzten Laizismus und die konsequente Reislamisierung der Türkei. Mit einer "Moscheeisierung" der Hagia Sophia könnte Erdogan sich vor seiner Klientel als moderner Sultan Mehmet II., genannt "der Eroberer" (türkisch: Fatih), inszenieren und fast ein Jahrhundert türkischer Geschichte sinnbildlich zurückdrehen.

Warnung an die Türkei

Zuvor hatte die UNESCO die Türkei vor der eigenmächtigen Umwandlung des historischen Gebäudes in eine Moschee gewarnt. Mit dem Status als Weltkulturerbe seien "eine Reihe von Zusagen und rechtlichen Verpflichtungen verbunden", erklärte die UN-Kulturorganisation und rief die Türkei vor einer Entscheidung zum Dialog auf.

Ein Staat dürfe "keine Veränderung an dem herausragenden universellen Wert" eines Welterbe-Monuments vornehmen, unterstrich die UNESCO. Die Hagia Sophia gehört als Teil der Istanbuler Altstadt zum Welterbe.

EU-Kommissionsvize gegen Umwandlung in Moschee

EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas hatte sich jüngst gegen eine Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee ausgesprochen. Der aktuelle Status des weltberühmten Bauwerks müsse beibehalten werden, sagte Schinas im Europaparlament in Brüssel. Andererseits würden Toleranz und Offenheit Istanbuls untergraben. 

2010, als Istanbul Kulturhauptstadt Europas gewesen sei, habe Erdogan gesagt, die Metropole sei eine europäische Stadt, erklärte Schinas. Das werde von Erdogan nun auch zehn Jahre später erwartet. Istanbul habe immer nach Europa geblickt, so Schinas.

Kirche in Moschee umgewandelt

Die im 6. Jahrhundert nach Christus erbaute Hagia Sophia (griechisch: Heilige Weisheit) war fast ein Jahrtausend lang das größte Gotteshaus der Christenheit und Hauptkirche des Byzantinischen Reiches, in der die Kaiser gekrönt wurden. Nach der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen wandelte Sultan Mehmet II. ("Der Eroberer") die Hagia Sophia in eine Moschee um und fügte als äußeres Kennzeichen vier Minarette hinzu. Auf Betreiben des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk ordnete der Ministerrat im Jahr 1934 die Umwandlung in ein Museum an.

(APA)

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