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Erdogan spricht von "Plan B" gegen EU

Mehr Flüchtlinge und Drogen nach Europa, weniger Zusammenarbeit auf dem Energiesektor? Die türkische Regierung macht sich Gedanken darüber, wie sie auf die anstehende Entscheidung der EU über den Teilstopp der Beitrittsverhandlungen reagieren soll. Offiziell bewahrt Ankara Stillschweigen. Es gebe zwar einen „Plan B“ und sogar einen „Plan C“, aber darüber wolle er jetzt noch nicht sprechen, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch. Trotzdem sind bereits einige Einzelheiten durchgesickert. Falls die EU wie geplant acht Verhandlungsbereiche sperrt oder die Sanktionen noch weiter verschärft, will die Türkei demnach ihre Zusammenarbeit mit Europa zurückfahren – und zwar dort, wo es den Europäern weh tut.

Nach dem deutsch-französisch-polnischen Treffen vom Vortag gefragt, zeigte sich Erdogan nicht beunruhigt. Es habe sich nicht um einen Gipfel gehandelt, sondern nur um ein Dreier-Treffen, sagte der türkische Premier. Zudem habe die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Forderung nach einer „Revisionsklausel“ zur Überprüfung des türkischen Beitrittsprozesses nicht wiederholt. Die Türkei werde ihren Weg in die EU fortsetzen, bekräftigte Erdogan. „Wir halten nicht an.“ Möglicherweise werde sich das Tempo verlangsamen, doch die Türkei werde in ihren Beziehungen zur EU nicht „emotional“ handeln.

Ohne Lockerung des EU-Handelsembargos gegen den türkischen Teil Zyperns will Ankara die Forderung der EU nach Öffnung der eigenen Häfen für Schiffe aus der griechischen Republik Zypern nicht erfüllen. Die EU-Kommission schlägt vor, als Strafe acht Kapitel der türkischen Beitrittsverhandlungen stillzulegen, bis Ankara die Häfen öffnet. Erdogans Regierung verlangt, weniger als acht Bereiche zu sperren. Die Entscheidung fällt entweder beim EU-Außenministertreffen am 11. Dezember oder beim Gipfel vier Tage später.

In Regierungskreisen in Ankara hieß es, die Türkei werde die EU-Beitrittsverhandlungen auf keinen Fall von sich aus ganz abbrechen. „Wir werden andere Dinge tun“, sagte ein Regierungsvertreter, der aber keine Einzelheiten nennen wollte. Die europapolitisch gewöhnlich gut informierte Zeitung „Radikal“ meldete, mögliche türkische Sanktionen gegen die Europäer beträfen die Reduzierung der Zusammenarbeit mit der EU im Nahost-Konflikt sowie beim iranischen Atomprogramm und hinsichtlich der Lage in Irak sowie im Kaukasus. Auch die Rüstungs-Kooperation könnte demnach leiden – dies ist besonders ein Wink an Deutschland und Frankreich, für deren Rüstungsbetriebe die Türkei ein attraktiver Markt ist. Genannt wurden auch Folgen für den Energiesektor: Die Türkei hatte in den vergangenen Monaten mehrfach auf ihre wachsende Bedeutung als Transitland für Öl- und Gaslieferungen aus Zentralasien verwiesen.

Besonders schmerzhaft für Europa könnte ein plötzliches türkisches Desinteresse an einer Zusammenarbeit in der Flüchtlings- und Drogenpolitik werden. Die Türkei ist ein Sprungbrett für hunderttausende Menschen, die nach Europa wollen. Nach offiziellen Angaben setzten die türkischen Behörden allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres 42.000 Flüchtlinge beim versuchten Grenzübertritt fest. Zudem ist die Türkei ein Hauptdurchgangsland für Heroin, das aus Afghanistan nach Europa geschafft wird. Sollte die EU die gemeinsame Zukunft von Europäern und Türken in Frage stellen, wäre es nur natürlich, dass Ankara die Lust an einer engen Kooperation verliere, zitierte „Radikal“ eine Quelle in der Regierung.

Möglicherweise ist die „Radikal“-Meldung über türkische Sanktionsmöglichkeiten ein Versuch Ankaras, die Europäer zu warnen und ihnen gewissermaßen die Folterwerkzeuge zu zeigen. Erdogan signalisierte am Mittwoch jedenfalls, dass seine Regierung weiter versuchen will, die EU zu einer milderen Haltung zu bewegen. Zu diesen Bemühungen gehören laut Erdogan Telefongespräche mit EU-Regierungspolitikern und auch der derzeitige Besuch von Verhandlungsführer Ali Babacan im Baltikum.

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