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Erdogan krank - Spekulationen sprießen

In den Medien gab es den Verdacht, Erdogan habe womöglich Krebs.
In den Medien gab es den Verdacht, Erdogan habe womöglich Krebs. ©dapd
Wenn der Chef fehlt, läuft der Betrieb nicht mehr rund. Seit sich Recep Tayyip Erdogan am 26. November einer Darmoperation unterzog, ist bei der sonst fast geräuschlos funktionierenden Regierung in Ankara viel Sand im Getriebe. Zum zweiten Mal in Folge wurde am Montag die wöchentliche Kabinettssitzung abgesagt.

Dabei hatte die Regierung angekündigt, Erdogan werde rechtzeitig zur Ministerrunde wieder auf dem Posten sein. Nun heißt es, der 57-jährige Ministerpräsident werde sich noch bis zum Ende der Woche ausruhen. Erdogans Fehlen heizt Spekulationen über die Schwere seiner Erkrankung an – und über die Zukunft der Regierung, die wegen Erdogans Allmacht von Kritikern als Ein-Mann-Show bezeichnet wird.

Erdogan gibt den Ton an

Seit seinem Amtsantritt im März 2003 beherrscht Erdogan die politische Szene in Ankara wie kaum ein anderer Regierungschef vor ihm. Die Minister seiner Regierungspartei AKP verdanken ihre Posten allein dem Wohlwollen des Premiers. Erdogan selbst hat mehr und mehr Befugnisse an sich gezogen – das Delegieren von Aufgaben gehört nicht zu seinen Stärken: Die Kabinettssitzung vom Montag wurde abgesagt, obwohl Erdogan vier Stellvertreter hat. Beinahe jede Initiative eines Ministers in Ankara wird mit der Einschränkung versehen, das letzte Wort habe Erdogan.

Krebsverdacht nicht bestätigt

Doch seit dem 26. November ist Erdogan von der Bildfläche verschwunden. An diesem Tag ließ er sich in einem Istanbuler Krankenhaus operieren, wo wegen des prominenten Patienten ein ganzes Stockwerk geräumt wurde. Der nicht angekündigte “gastrointestinale Eingriff” mit Hilfe moderner Mini-Instrumente sei erfolgreich verlaufen, Erdogan erhole sich in seiner Istanbuler Wohnung, teilte die Regierung anschließend mit. Weitere Details gab es keine. Die Geheimnistuerei ließ in den Medien den Verdacht aufkommen, Erdogan habe womöglich Krebs. In anderen Berichten hieß es, bei Erdogan seien Darmpolypen entfernt worden, doch der Krebsverdacht habe sich nicht bestätigt.

Nur zwei Besucher – Parlamentspräsident Cemil Cicek und US-Vizepräsident Joe Biden – wurden seit der Operation zu Erdogan vorgelassen. Bei seinem Treffen mit Biden ließ sich der Premier fotografieren, sagte aber nichts. Biden berichtete später, offenbar hätten die Ärzte bei Erdogan rechtzeitig eingegriffen. Erdogan plant für den 10. Dezember einen Besuch in Katar, doch es ist nicht sicher, ob die Ärzte die Reise erlauben.

Wird Erdogan Staatspräsident?

Unterdessen laufen sich einige AKP-Granden für künftige Aufgaben warm. Das Gerangel hatte bereits vor Erdogans Operation begonnen und hängt vor allem mit der spätestens 2014 anstehenden Neuwahl des Staatspräsidenten zusammen. Die ganze Türkei geht davon aus, dass sich Erdogan dann zum Staatsoberhaupt wählen lassen will; eine erneute Kandidatur für das Parlament hat er ausdrücklich ausgeschlossen.

Russland-Szenario möglich

Manche Medien wollen von AKP-internen Planungen erfahren haben, wonach Vizepremier und Regierungssprecher Bülent Arinc nach Erdogans Wechsel ins Präsidentenamt vorübergehend neuer Ministerpräsident werden soll. Der derzeitige Präsident und AKP-Mitbegründer Abdullah Gül könnte demnach später auf den Posten des Regierungschefs zurückkehren, den er bereits von November 2002 bis März 2003 als Platzhalter für seinen Freund Erdogan inne hatte – ein Szenario, das stark an das Wechselspiel von Wladimir Putin und Dmitrij Medwedew in Russland erinnert.

Unabhängig davon, was nun wirklich in Ankaraner Hinterzimmern besprochen wird, ist unverkennbar, dass Arinc verstärkt in den Vordergrund drängt. So widersprach er öffentlich dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu, der die Einrichtung einer türkisch kontrollierten Pufferzone auf dem Territorium des von Unruhen erschütterten Nachbarn Syrien ausgeschlossen hatte. Arinc bezeichnete die Pufferzone dagegen als eine Option.

Gut möglich, dass es Arinc weniger um die Lage in Syrien ging als um die in Ankara: Laut einer kürzlichen Umfrage ist der wegen seiner aktiven und selbstbewussten Außenpolitik beliebte Davutoglu ein Favorit der Wähler für die Nachfolge Erdogans. Die Oppositionspartei CHP kommentierte, in der AKP sei ein Machtkampf ausgebrochen.

(APA)

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