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Erdogan deutet Bereitschaft zu Militärschlag an

Türkei - Nach dem Blutbad von Ankara wächst die Wahrscheinlichkeit einer Militärintervention der Türkei im Nachbarland Irak. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan signalisiert seine Bereitschaft.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan deutete erstmals seine grundsätzliche Bereitschaft an, die Armee in den Nordirak zu schicken, um dort gegen Stützpunkte der kurdischen PKK-Rebellen vorzugehen. Bisher hatte er einen Einmarsch wegen absehbarer Konflikte mit den USA und der irakischen Regierung abgelehnt.

Gleichzeitig nehmen die innenpolitischen Spannungen in der Türkei zu. So machen Verschwörungstheorien die Runde, wonach nicht PKK-Mitglieder, sondern dunkle Kräfte im Staatsapparat die Bombe von Ankara gelegt haben könnten, um Erdogan unter Druck setzen, die anstehenden Parlamentswahlen verhindern und den türkischen EU-Prozess sabotieren zu können.

Erdogan sagte in einem Fernsehinterview, das Parlament werde einen Entsendebeschluss für den Auslandseinsatz im Nordirak fassen, wenn die türkische Armeespitze „konkrete Vorschläge“ auf den Tisch lege. Generalstabschef Yasar Büyükanit hatte bereits im April eine Militärintervention gegen die PKK-Lager in Nordirak gefordert. Die Armee zieht seit Wochen Truppen an der irakischen Grenze zusammen. Einen Blanko-Scheck für die Militärs lehnt Erdogan aber weiter ab.

Der Premier befürchtet schwere außenpolitische Folgen für den Fall, dass türkische Soldaten in den Nordirak eindringen. Die USA wollen höchstens eng begrenzte Kommandoaktionen der Türken tolerieren, während die irakischen Kurden strikt gegen jede Art von türkischer Intervention sind. Ankara wirft Amerikanern und irakischen Kurden vor, zu wenig gegen die Aktivitäten der PKK im Nordirak zu unternehmen.

Nicht nur der Anschlag von Ankara mit seinen sechs Todesopfern verstärkt den Druck auf Erdogan, einer Militärintervention im Irak zuzustimmen. Auch die steigenden Verluste der türkischen Armee im Kampf gegen die PKK in der Türkei selbst lässt den Ruf nach einer Invasion lauter werden. Am Donnerstag starben sechs Soldaten bei der Explosion einer Landmine im südostanatolischen Sirnak.

Diese Eskalation inmitten des Machtkampfs zwischen dem fromm-konservativen Lager unter Erdogan und den Kemalisten in Armee, Verwaltung und Justiz lässt Gerüchte über ein Komplott von Regierungsgegnern ins Kraut schießen. Der Zeitpunkt des Anschlags von Ankara sei auffällig, kommentierte die regierungsnahe Zeitung „Zaman“. Vermutlich werde angestrebt, die für den 22. Juli geplanten Parlamentswahlen mit dem Argument zu zu stornieren, das Land befinde sich im Krieg. Dahinter könnte das Motiv stecken, den von allen Umfragen vorausgesagten Wahlsieg von Erdogans AK-Partei zu verhindern. Ein Kolumnist der Zeitung „Star“ ist sicher, dass mit dem Anschlag zudem das Ziel verfolgt wird, der EU-Bewerbung der Türkei ein für allemal den Garaus zu machen.

Unbestritten ist, dass nach dem Anschlag von Ankara noch viele Fragen unbeantwortet sind. So gibt es nach wie vor nur Spekulationen über die Verbindungen des mutmaßlichen Selbstmordattentäters Güven Akkus zur PKK. Spätestens seitdem türkische Militäragenten vor anderthalb Jahren einen tödlichen Bombenanschlag im Kurdengebiet verübten, sind die Sicherheitskräfte des Landes nicht mehr über jeden Zweifel erhaben. Allerdings betonen Terrorexperten wie Rusen Cakir von der Zeitung „Vatan“, dass eine Täterschaft der PKK nach wie vor am wahrscheinlichsten sei. Die PKK habe mit dem Anschlag eine Warnung an Ankara geschickt, schrieb Cakir: Sollte die Türkei in den Nordirak einmarschieren, werde die Antwort der Rebellen sehr blutig sein.

Auch wenn noch nicht mit letzter Sicherheit feststeht, wer den Anschlag von Ankara verübte, zeichnet sich bereits ab, dass die Gewalttat zur Wahlkampfmunition wird: Die Opposition wirft Erdogan eine Mitschuld am Tod der sechs Anschlagsopfer vor. Der Premier habe in den letzten Jahren zu sehr auf eine politische Lösung des PKK-Problems gesetzt, kritisierte die größte Oppositionspartei, die kemalistische CHP. Auch die Rechtsnationalisten griffen Erdogan wegen angeblicher Nachgiebigkeit gegenüber der PKK an.

Sollte es bis zum Wahltag weitere Anschläge geben, würde der Premier noch mehr unter Druck geraten. Hinweise darauf, dass neue Gewalttaten geplant werden, gibt es genug. Allein in Istanbul verhinderte die Polizei nach eigenen Angaben in den letzten Tagen zwei schwere Bombenanschläge.

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