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Eiskalter "Eugen Onegin" in der Staatsoper

Die Wiener Staatsoper hat Samstagabend ihrem Publikum einen eiskalten "Eugen Onegin" serviert: Das Publikum quittierte die minimalistische Regie Falk Richters mit einem Buh-Orkan, feierte jedoch die grandiose Sängerleistung.

Regisseur Falk Richter bewies bei Tschaikowskis Oper viel Gespür für stimmungsreiche und eben kühle Bilder, wenig jedoch für anhaltende Spannung. Der Buh-Orkan war dann doch etwas übertrieben, berechtigt war der Jubel für die durchwegs grandiose Sängerleistung. Und auch Dirigent Seiji Ozawa, der mit dem “Eugen” voraussichtlich seine letzte Premiere als Musikdirektor geleitet haben dürfte, bekam einmal alles andere als Kälte zu spüren.

Leise rieselt der Schnee in Richters Regie-Idee (Bühne: Katrin Hoffmann). Ist man zuerst von dem dichten Flockentreiben im Hintergrund noch angetan, verliert man sich bald darin und starrt gegen Ende nur mehr apathisch in das Treiben. Es ist klar: Nicht den Klimawandel will diese Inszenierung beklagen, sondern Eugen Onegins Seelenlandschaft, der als quasi hipper Stadtbewohner den Berufsjugendlichen mimt und sich von Beziehung zu Beziehung hantelt – bis er am Ende allein dasteht. Als zusätzliche Mahnung dienen unbewegliche, sich in den Armen liegende Statistenpärchen, quasi die Säulen unserer Gesellschaft oder so.

Richter ist Moralist, keiner der üblen Sorte aber zumindest einer der bürgerlichen. Und er hat versucht, einen zeitlosen “Eugen Onegin” auf die Bühne zu hieven, was seit Sven-Eric Bechtolfs “Ring”-Inszenierung an der Staatsoper endgültig en vogue sein dürfte. Was er wirklich kann: seine Charaktere choreographieren und auf der fast leergeräumten Bühne mit Distanz und Nähe spielen. Ein stilisiertes Himmelbett aus Eisblöcken reicht da für die Liebesverwirrte Tatjana, um ihren Brief an Eugen zu schreiben, das Schriftstück selbst wird dann noch übermächtig an die Wand projiziert. Richter hat ein Kameraauge, was vielen Szenen zugutekommt. Besonders den Massenszenen mit teilweise schon artistischen Choreographien (Joanna Dudley). Trotzdem gelingt der Bogen nicht, auf der Party im letzten Akt kommt jener Kitsch dazu, der an geschliffene Tiroler Glasklunker erinnert und wohl noch vom Opernball übrig gewesen sein dürfte.

Richter hat aber ein gutes Gespür für seine Darsteller. Nicht nur gute Schauspieler, vor allem exzellente Sänger: Bariton Simon Keenlyside spielt seinen durchwegs lyrischen Bariton so aus, dass einem Melancholie und Nachdenklichkeit bis in den Sturm außerhalb der Oper verfolgt. Kein egozentrischer Frauenverschwender war da am Werk, ein zeitgeistgefangener Selbstverwirklicher. Die von ihm zuerst verschmähte, dann aussichtslos begehrte Tatjana wurde glanzvoll von Tamar Iveri gesungen, die den meisten Applaus des Abends abbekam. Dem naiven Dichter Lenski verlieh Ramon Vargas solide seinen Tenor, seine Olga wurde von Nadia Krasteva gesungen. An Verschwendung großartiger Ressourcen grenzte der kurze Einsatz des gewaltigen Ain Anger als Fürst Gremin und der des schelmenhaften Alexander Kaimbacher als clownesker Barde Triquet. Letzterer wird hoffentlich bald den Status des Geheimtipps offiziell ablegen.

Als beinahe tragische Figur stand Ozawa am Pult des Staatsopernorchesters und ließ sich am Ende feiern. Es dürfte Balsam auf die in der jüngsten Vergangenheit erlittenen Wunden – glaubt man Stimmen aus der Staatsoper – gewesen sein. Ozawa hatte diesen “Eugen Onegin” mit viel Präzision und Akribie dirigiert, herausgekommen ist eine fast schon überbordende Transzendenz, die streckenweise an Mahler-Symphonien erinnerte. Man muss es halt mögen. Ebenfalls mehr – verdienten – Applaus als sonst gab es auch für den Chor. Und die lauten Buh-Rufe für Richter, die sich diesmal sogar gegen die “Bravos” durchsetzten, werden wohl bald verhallt sein. Denn man weiß: Die Ablehnung eingefleischter Premieren-Geher gilt nicht gewissen Neuinszenierungen, sondern Neuinszenierungen an sich.

“Eugen Onegin” von Peter Iljitsch Tschaikowski
Inszenierung: Falk Richter. Musikalische Leitung: Seiji Ozawa.
Mit: Simon Keenlyside (Eugen Onegin), Tamar Iveri (Tatjana), Ramon Vargas (Lenski), Nadia Krasteva (Olga).
Weitere Aufführungen an der Wiener Staatsoper: 10., 13., 16., 19., 22. März, 23., 26., 29. Mai, 2., 4. Juni
Web: http://www.staatsoper.at

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