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Einen Tag vor historischer US-Wahl: Wer führt die letzte Supermacht?

Joe Biden oder Donald Trump - Wer wird der mächtigste Mann der Welt?
Joe Biden oder Donald Trump - Wer wird der mächtigste Mann der Welt? ©AP ©(FILES)(COMBO) This combination of file pictures created on October 22, 2020 shows US President Donald Trump (L) and Democratic Presidential candidate and former US Vice President Joe Biden during the final presidential debate at Belmont University in Nashville, Tennessee, on October 22, 2020. - US President Donald Trump on October 26, 2020 taunted opponent Joe Biden for forgetting his name and calling him "George" just a week before the election. Trump, 74, has often accused Biden, 77, of being senile as the two candidates battle it out ahead of the November 3 vote. Joe Biden's habit of verbal gaffes reemerged on October 25, 2020 evening when he struggled to remember Trump's name as he addressed a virtual concert by TV link.He twice called his opponent "George" -- perhaps a reference to one of the Bush presidents. (Photos by Morry GASH and JIM WATSON / AFP)
Diese Wahl wird nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt von großer Bedeutung sein. Die Umfragen sehen einen klaren Sieger - und der heißt nicht Trump.

An diesem Dienstag stimmen die Amerikaner darüber ab, ob US-Präsident Donald Trump vier weitere Jahre im Weißen Haus regieren kann - oder ob sein Herausforderer Joe Biden die Führung der letzten verbliebenen Supermacht übernehmen wird. Umfragen sehen den Demokraten Biden (77) vorne. Der Republikaner Trump (74) tut schlechte Werte als "Fake News" ab und verweist darauf, dass er auch 2016 als Außenseiter ins Rennen ging.

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Mit einem Kraftakt zum Wahlkampfende will US-Präsident Donald Trump seinen Rückstand in Umfragen wettmachen und sich die notwendigen Stimmen für eine zweite Amtszeit sichern. Nach fünf Auftritten am Sonntag will der Republikaner am Montag in drei besonders umkämpften Bundesstaaten um Wählerstimmen werben. Sein demokratischer Herausforderer Joe Biden plant am letzten Wahlkampftag Auftritte im wichtigen Bundesstaat Pennsylvania, einen davon mit Popstar Lady Gaga. Biden kann vor der historischen Wahl an diesem Dienstag zudem auf weitere Schützenhilfe von Ex-Präsident Barack Obama zählen.

Für Unruhe sorgte ein Medienbericht, wonach sich Trump voreilig zum Wahlsieger erklären könnte.

Unklar ist auch, ob noch in der Wahlnacht ein Sieger feststehen wird - und ob Trump eine Niederlage akzeptieren wird.

Trump oder Biden? - Foto: AFP / APA

TRUMP UNTERGRÄBT DIE LEGITIMITÄT DER WAHL

Trump lässt offen, ob er das Wahlergebnis anerkennen wird. Er hat sich auch geweigert, eine friedliche Machtübergabe zu garantieren - eigentlich unvorstellbar in einem Land, das stolz auf seine lange demokratische Geschichte ist. Trump fordert zudem, ein Endergebnis müsse noch in der Wahlnacht feststehen, was angesichts der Briefwahlstimmen - von denen es wegen der Pandemie eine Rekordzahl geben wird - nicht sicher ist. Das dient nach Ansicht von Kritikern einem Ziel: Trump bereitet das Feld dafür, das Ergebnis im Fall einer Niederlage anzuzweifeln. Es könnte also zu Überraschungen kommen.

TRUMP FORDERT ERGEBNIS IN DER WAHLNACHT

Die Nachrichtenseite "Axios" berichtete am Sonntag unter Berufung auf drei ungenannte Quellen, Trump habe mit Vertrauten Pläne besprochen, wonach er sich im Fall eines Vorsprungs in der Wahlnacht noch vor Ende der Stimmenauszählung zum Sieger erklären könnte. Trump nannte den Bericht "falsch". Er forderte aber erneut, ein Wahlergebnis müsse noch in der Nacht zu Mittwoch vorliegen. "Ich denke, dass es nicht fair ist, dass wir nach der Wahl eine lange Zeit warten müssen", sagte der 74-Jährige vor Journalisten im Bundesstaat North Carolina. "Sobald die Wahl vorbei ist, gehen wir mit unseren Anwälten rein." Bei einem Wahlkampfauftritt in Rome im Bundesstaat Georgia sagte Trump, vielleicht werde sein Vorsprung so groß sein, dass er noch in der Wahlnacht zum Sieger ausgerufen werden könnte. "Ich denke, dass wir besser abschneiden werden als vor vier Jahren." Biden sagte: "Der Präsident wird diese Wahl nicht stehlen." Trump untergräbt seit langem das Vertrauen in den Wahlprozess. Er bereitet damit nach Ansicht von Kritikern das Feld dafür, im Fall seiner Niederlage das Ergebnis anzufechten. Beide Seiten haben die diesjährige Abstimmung zur Schicksalswahl erklärt.

DER EINFLUSS DES VIRUS

Eines aber ist gewiss: Mit der Abstimmung geht ein beispielloser Wahlkampf zu Ende, der bis zuletzt von der Corona-Pandemie geprägt war. Trump schlug alle Ratschläge von Gesundheitsexperten in den Wind, bis zum Schluss trat er mehrfach täglich vor Tausenden Anhängern auf. Der Präsident hält sich seit seiner Genesung von Covid-19 für "immun", bei seinen Veranstaltungen folgten die meisten seiner Anhänger seinem Beispiel und trugen keine Maske.

Trump behauptete immer wieder, die USA seien in der Pandemie über den Berg - obwohl die Infektionszahlen wieder zunehmen. Zuletzt wurden im Schnitt pro Tag rund 75 000 Neuinfektionen gemeldet. Seit Beginn der Pandemie sind bereits mehr als 230 000 Menschen in Verbindung mit Covid-19 gestorben. Biden wirft Trump daher vor, bei der Eindämmung der Pandemie versagt zu haben und für den Tod Zehntausender Amerikaner verantwortlich zu sein.

Republikaner oder Demokrat? - Foto: MANDEL NGAN and JIM WATSON / AFP / APA

BIDENS WAHLKAMPF LIGHT

Während Trump durchs Land tourte, machte Biden - der von 2009 bis 2017 Vizepräsident von Trump-Vorgänger Barack Obama war - einen Wahlkampf der ganz anderen Art: Er trat selten auf und besuchte viel weniger Bundesstaaten als der Amtsinhaber. Bei allen Veranstaltungen gab es Corona-Schutzmaßnahmen. Der Demokrat argumentierte, er wolle keine "Superspreader-Events" nach Trumps Vorbild abhalten.

DAS SAGEN DIE UMFRAGEN

Glaubt man den Umfragen, führt der Demokrat Biden nicht nur in landesweiten Befragungen, sondern auch in wichtigen "Swing States", also jenen Bundesstaaten, die umkämpft sind und in denen das Rennen entschieden werden dürfte. Die Experten der renommierten Webseite "FiveThirtyEight" rechneten Trump kurz vor dem Wahltag nur noch eine Siegeschance von rund zehn Prozent aus. Aber nach dem Umfrage-Debakel von 2016 weisen Statistiker auch auf die Grenzen der Modelle hin: Eine geringe Siegeswahrscheinlichkeit ist besser als keine Chance.

DIE MÖGLICHEN ERGEBNISSE

Um bei der indirekten Wahl Präsident zu werden, muss ein Kandidat genügend Bundesstaaten gewinnen, um sich mindestens 270 Stimmen der Wahlleute zu sichern. Dabei kann es leicht zu Überraschungen kommen: In etwa einem Dutzend Staaten ist das Ergebnis noch relativ offen. Wenn sich ein Kandidat einen großen und umkämpften Bundesstaat wie Florida oder Pennsylvania sichern kann, könnte das den Wahlausgang bestimmen. Die Demokraten hoffen, dass Biden ein Erdrutschsieg ("landslide") gelingt, damit Trump ihm den Sieg selbst mit Klagen in ein oder zwei Bundesstaaten nicht streitig machen könnte. Trump kann den Umfragen zufolge höchstens auf einen knappen Sieg hoffen.

VIELE WÄHLER HABEN SCHON ABGESTIMMT

Das ganze Land fiebert schon seit Monaten auf den Wahltag hin, doch die Hälfte aller Wähler hat wahrscheinlich längst abgestimmt. Bis Samstag stimmten rund 92 Millionen Wähler bereits per Briefwahl oder in vorab geöffneten Wahllokalen ab. Bei der Präsidentenwahl 2016 hatten knapp 137 Millionen Amerikaner ihre Stimme abgegeben.

BIDEN NICHT FIT FÜR DAS AMT?

Trump hat immer wieder versucht, seinen Kontrahenten als "Sleepy Joe" (Schläfriger Joe) zu diskreditieren und ihn als untauglich für das Präsidentenamt darzustellen. Biden ist für verbale Ausrutscher bekannt, und man merkt ihm sein Alter an. Bidens Wahlkampf-Auftritte stützten Trumps These vom untauglichen Kandidaten aber nicht. Auch wenn Trump Biden als "schlechtesten Kandidaten" jemals verhöhnte: Dass er ihn als Gegner fürchtet, deutete sich schon an, bevor Biden offiziell als Kandidat der Demokraten aufgestellt wurde.

Im Juli vergangenen Jahres drängte Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einem Telefonat erfolglos dazu, wegen fragwürdiger Geschäfte von Biden-Sohn Hunter Ermittlungen anzukündigen. Es war der Beginn der Ukraine-Affäre, die zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen Trump führte, das dieser nur dank der Mehrheit seiner Republikaner im Senat überstand.

WER HAT WAS ZU VERBERGEN?

Bis heute wirft Trump der Biden-Familie ohne jeden Beleg vor, korrupt zu sein. Als womöglich letztes großes Feuerwerk vor der Wahl fuhr das Trump-Lager einen früheren Geschäftspartner von Hunter Biden als Kronzeugen für die Anschuldigungen auf. Auch danach beharrte Joe Biden beim letzten TV-Duell mit Trump darauf: "Ich habe niemals in meinem Leben einen Penny von einer ausländischen Quelle angenommen." Der Demokrat kehrte den Spieß um - und forderte Trump auf, dessen Steuererklärungen offenzulegen, wogegen dieser sich seit Jahren mit Händen und Füßen wehrt. Biden fragte: "Was haben Sie zu verbergen?"

TRUMPS WILDE VORWÜRFE

Trump wollte eigentlich mit seiner erfolgreichen Wirtschaftsbilanz in den Wahlkampf ziehen, doch die Corona-Krise machte ihm da einen Strich durch die Rechnung. Nun verspricht er einen schnellen Aufschwung und will - anders als Biden - alle Corona-Auflagen wieder möglichst schnell lockern, damit die Wirtschaft wieder wachsen kann.

Je näher die Wahl rückte, desto wilder wurden Trumps Anschuldigungen: Biden wolle aus den USA einen sozialistischen Staat nach dem Vorbild Venezuelas machen. Der Demokrat wolle den Amerikanern nicht nur ihre Waffen, sondern auch die Glaubensfreiheit nehmen. Trump warf Biden auf Twitter vor, nicht nur für Abtreibungen zu sein, sondern Babys sogar nach der Geburt noch töten lassen zu wollen - "was eine Exekution wäre". Nichts davon deckt sich mit Forderungen Bidens, der zum gemäßigten Flügel der Demokraten zählt.

WAS DIE WAHL FÜR DEN WESTEN HEISST

Biden hat versprochen, die USA wieder zum verlässlichen Partner ihrer Verbündeten zu machen. Sollte der Demokrat siegen, dürfte es in Berlin und anderen Hauptstädten im Westen zu einem kollektiven Aufatmen kommen. Trump hat deutlich gemacht, dass er bei einem Sieg seine "America First"-Politik fortsetzen würde. Experten wie Constanze Stelzenmüller von der Denkfabrik Brookings Institution in Washington halten dann auch einen Nato-Austritt der USA für denkbar.

ERGEBNIS KANN SICH DREHEN

Wegen der Pandemie ist mit einer Rekordzahl an Briefwählern zu rechnen. Umfragen zufolge wollen mehrheitlich Bidens Anhänger von der Möglichkeit Gebrauch machen, per Briefwahl abzustimmen. In umkämpften Bundesstaaten wie Pennsylvania können Briefwahlstimmen noch Tage nach der Wahl ausgezählt werden. Das könnte dazu führen, dass Trump in der Nacht zu Mittwoch vorne liegt, sein Vorsprung sich aber in den Tagen danach in eine Rückstand verwandelt. Dann würden die Wahlleute in den Bundesstaaten, in denen sich das Ergebnis dreht, doch nicht Trump, sondern Biden zugesprochen. Trump behauptet seit Monaten ohne jeden Beleg, die Stimmabgabe per Briefwahl begünstige Wahlbetrug.

KAMPF UM DIE "SWING STATES"

Der Wahlkampf konzentriert sich im Endspurt auf "Swing States" wie Pennsylvania, bei denen erfahrungsgemäß nicht schon im Vorfeld feststeht, ob der Kandidat der Republikaner oder der Demokraten siegen wird. Trump lag in Umfragen vom Wochenende sowohl landesweit als auch in mehreren "Swing States" hinter Biden - letzteres aber oft nur knapp. In Pennsylvania ist Bidens Vorsprung geschrumpft. Trumps Wiederwahl wäre wegen des US-Wahlsystems auch dann nicht ausgeschlossen, wenn Biden landesweit die meisten Stimmen bekommen sollte.

OBAMA "EINE HOCHGRADIG ÜBERSCHÄTZTE PERSON"?

Bei ihren Auftritten am Sonntag griffen sich die beiden Kontrahenten scharf an. In Dubuque im Bundesstaat Iowa bezichtigte Trump Biden der Korruption. Ohne Belege behauptete er erneut, die Biden-Familie habe Millionen Dollar von China bekommen. "Wenn Biden gewinnt, gewinnt China. Wenn wir gewinnen, gewinnt Amerika." Trump spielte Videos mit Versprechern und verbalen Ausrutschern seines 77-jährigen Herausforderers vor und stellte erneut Bidens Befähigung für das Präsidentenamt in Frage. "Joe Biden ist diesem Job nicht gewachsen. Sie müssen ihm nur fünf Minuten zuschauen."

Trump warnte auch vor einer wirtschaftlichen Depression im Fall seiner Niederlage. Biden warf er vor, "einen Krieg gegen Arbeiter, einen Krieg gegen den Glauben und einen Krieg gegen unsere großartige Polizei" führen zu wollen. Trump gab sich siegessicher und spottete über Obamas Wahlkampf-Unterstützung für Biden. Obama - der bis 2017 Präsident war und Biden zu seinem Stellvertreter gemacht hatte - sei "eine hochgradig überschätzte Person", sagte Trump.

"WIR SIND MÜDE VON DEN TWEETS"

Biden sagte am Sonntag in Philadelphia: "Es ist an der Zeit für Donald Trump, seine Taschen zu packen und nach Hause zu gehen. Es ist an der Zeit, wieder etwas Leben in diese Nation zurückzubringen. Wir sind fertig, wir sind müde von den Tweets, der Wut, dem Hass, dem Versagen und der Verantwortungslosigkeit." Biden kritisierte Trumps Krisenmanagement in der Pandemie als "fast kriminell".

TRUMP SCHLIESST LOCKDOWN AUS

Trotz deutlich steigender Infektionszahlen versicherte Trump am Sonntag mehrfach, die USA seien in der Corona-Krise bald über den Berg. Einen Lockdown wie in mehreren europäischen Staaten schloss der Präsident aus. "Ich liefere das große amerikanische Comeback und wir haben keine Lockdowns", sagte er bei einem Wahlkampfauftritt in Washington im strategisch wichtigen Bundesstaat Michigan am Sonntag. Sollte Biden die Wahl gewinnen, drohe ein jahrelanger Lockdown.

"Unter einem Biden-Lockdown würdet Ihr in einem Gefängnisstaat leben", sagte Trump seinen Anhängern. "Der Biden-Lockdown würde bedeuten: keine Schule, keine Abschlüsse, keine Hochzeiten, kein Thanksgiving, keine Ostern, kein Weihnachten, kein 4. Juli (Unabhängigkeitstag) und keine Zukunft." Trump stellte in Aussicht, dass es nur noch "eine Frage von Wochen" sei, bis es eine Impfung gegen das Coronavirus gebe.

DÜSTERE WARNUNGEN FAUCIS IN DER PANDEMIE

Zuvor hatte der führende US-Gesundheitsexperte Anthony Fauci die Amerikaner auf eine deutliche Verschlechterung der Pandemie-Lage eingestimmt. "Uns steht eine ganze Menge Leid bevor. Es ist keine gute Situation", sagte Fauci der "Washington Post". Die USA könnten vor dem Herbst und Winter "unmöglich schlechter positioniert sein".

Nach Daten der Johns-Hopkins-Universität (JHU) überschritten die USA am Freitag erstmals die Marke von 99 000 registrierten Neuinfektionen. Mit ihren 330 Millionen Einwohnern sind die Vereinigten Staaten etwa vier Mal so groß wie Deutschland, hatten am vergangenen Freitag aber rund fünf Mal so viele Neuansteckungen. Nach den JHU-Statistiken hat die Pandemie in den USA bisher mehr als 230 000 Menschen das Leben gekostet - mehr als 20 mal so viele wie in der Bundesrepublik.

Liveblog zur US-Wahl 2020

(APA) (DPA)

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