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Eine Poetin in den Fängen der Politik

Bis zu dem Tag, als sie Liu Xiaobo traf, hat sich Liu Xia eigentlich nie für Politik interessiert. Poesie, Malerei und Fotografie waren da schon eher ihr Terrain und sind es bis heute. Doch in den Jahren an der Seite des diesjährigen Friedensnobelpreisträgers hat sich die zierliche Chinesin auch zu einer resoluten Unterstützerin ihres Mannes entwickelt. Ohne selbst politisch aktiv zu werden, kämpfte sie für sein Ziel, indem sie stets an seiner Seite stand, ihm die besten Anwälte organisierte und zuletzt sogar offen die chinesische Regierung kritisierte.
Proteste nach Hausarrest für Liu Xia
Bilder von Liu Xiaobo

“Sie ist eine so warmherzige Frau, sie hat Liu Xiaobo immer unterstützt”, sagt der Anwalt des ersten chinesischen Friedensnobelpreisträgers über die zierliche Frau Ende 40. Zwar begleitete Liu Xia stets die Furcht, ihr Mann könnte durch seine politischen Aktivitäten Probleme mit den Behörden bekommen. “Doch seit er im Gefängnis sitzt, ist sie sehr stark”, sagt Shang Baojun im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP. Liu Xiaobo wurde im Dezember 2009 wegen Untergrabung der Staatsgewalt zu elf Jahren Haft verurteilt, nachdem er an der Charta 08, einem Aufruf zu politischen Reformen, mitgewirkt hatte.

Im Leben der jungen Liu deutete zunächst wenig auf politische Ambitionen hin. In Peking geboren begeisterte sie sich früh für die Poesie und die Malerei, hängte ihre Liebe zur Kunst aber dann für einen Job in einem Verlagshaus an den Nagel. Davon schnell gelangweilt, verschlug es sie Anfang der 80er Jahre für acht Monate allein nach Tibet. Nach ihrer Rückkehr arbeitete die Frau mit dem kahlgeschorenen Kopf in einem Finanzamt.

Bei einer Lesung im Jahr 1982 lernte sie schließlich Liu Xiaobo kennen und lieben. Im Hongkong veröffentlichen die beiden eine Gedichtesammlung. “Sie war überhaupt nicht politisch, aber sie hat von Liu Xiaobo sofort viel über Politik gelernt”, erzählt Jean-Philippe Béja, ein in Paris lebender China-Experte, der seit Jahren mit dem Paar befreundet ist. “Sie ist ein sehr authentischer Mensch, ein bisschen Poet und ein bisschen Hippie.” Fortan stand sie an der Seite ihres Mannes und kämpfte für ihn. “Wie eine Frau, die ihren Mann liebt, eben für ihn kämpft”, sagt Béja.

Im Jahr 1989 musste Liu Xiaobo im Zusammenhang mit dem blutigen Tiananmen-Massaker ins Gefängnis, weil er versucht hatte, die Sicherheitskräfte zu beschwichtigen. Später verärgerte er die chinesische Führung, indem er sich für die Freilassung der Demonstranten vom Tiananmen-Platz stark machte. Drei Jahre lang, von 1996 bis 1999 musste er dafür in ein Straflager. Um ihren Mann dort besuchen zu können, heiratete die Chinesin den Oppositionellen 1998. Dem “World Journal”, einer in Los Angeles ansässigen chinesischen Zeitung, sagte sie einmal, sie habe ihren Mann “wegen seiner Stärke und seines unbeugsamen Geistes” geheiratet.

Einen “guten Sinn für Humor” habe sie, sagt der China-Experte Béja über Liu Xia. “Sie wirkt zwar zerbrechlich, aber sie hat einen sehr starken Charakter.” Äußerst untypisch für Chinesinnen ist Liu Xia starke Raucherin und hat ein Faible für Rotwein – besonders französischen. Seit nun bekanntwurde, dass ihr Mann den diesjährigen Friedensnobelpreis bekommt, steht sie praktisch unter Hausarrest. Aus dieser Not heraus freundete sich die einst so wenig technikaffine Frau nun sogar mit dem Internet an und protestierte über das Portal Twitter gegen ihren “illegalen Hausarrest”. Längst ist sie so zum Sprachrohr für ihren inhaftierten und nun weltberühmten Mann geworden.

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