Agententhriller funktionieren oft nach dem gleichen Schema: Die Kämpfer für das Gute gehen an ihre Grenzen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen und ihre eigene Unschuld zu beweisen. Bei “Fair Game” und “Die Drei Tage des Condor” zum Beispiel wird dieses Schema angewendet, bei John Maddens “Eine offene Rechnung” nicht. Die “Guten” verstricken sich in Lug und Trug. Sie werden zu Schuldigen, da sie die Wahrheit vertuschen. Nur eine Lüge lässt sie zu Helden werden. Madden trumpft mit einer Star-Besetzung auf, allen voran Oscar-Preisträgerin Helen Mirren. Der Nervenkitzel ist garantiert, doch viele Szenen sind übertrieben gewalttätig und einige Dialoge enttäuschend. Ab Freitag (23.9.) im Kino.
Erzählt wird die Geschichte von den drei Mossad-Agenten Rachel (Jessica Chastain, “The Tree of Life”), David (Sam Worthington, “Avatar”) und Stefan (Marton Csokas), die in Ost-Berlin einen ehemaligen KZ-Arzt fangen sollen. Ihre Mission missglückt und der Naziverbrecher Dieter Vogel (Jesper Christensen) entflieht. Die drei Agenten erzählen der Welt, sie hätten ihn getötet – und werden in Israel als Nationalhelden gefeiert. Doch 30 Jahre später drohen sie aufzufliegen, da Vogel in einer Zeitung erwähnt wird. Die Lüge muss in die Tat umgesetzt werden.
In Rückblenden wird immer wieder ins graue Berlin von 1966 zurückgespult. Die jungen Agenten bereiten ihre Mission vor und es entwickelt sich zaghaft eine Dreiecks-Liebesgeschichte. Dann wird wieder das Jahr 1997 eingeblendet: Rachel (Helen Mirren), Stefan (Tom Wilkinson) und David (Ciaran Hinds) sind in die Jahre gekommen. Rachel sonnt sich in ihrem erfundenen Erfolg. Sie ist die eigentliche Protagonistin. Während die junge Rachel zart und sentimental ist, ist die ältere Rachel verhärtet und ernst. Helen Mirren füllt diese Rolle wunderbar aus, ihr Lachen ist erstarrt, ihr Blick versteinert. Sie fühlt sich schuldig für Vogels gelungene Flucht.
“Eine offene Rechnung” ist ein Remake des israelischen Films “Ha-Hov”. Obwohl sich Madden (“Shakespeare in Love”) an ein heikles Thema heranwagt, ist der Film kein Holocaust-Thriller. Vielmehr geht es um Psychologie. Drei Menschen, die glauben das Richtige zu tun, handeln am Ende moralisch falsch. Die Lüge verselbstständigt sich und es gibt scheinbar keinen Ausweg, ohne das Lebenswerk zu zerstören.
Zu den Schlüsselszenen gehören jene, die sich in der Berliner Wohnung der drei Agenten abspielen, in der Vogel festgehalten wird. Die dort geführten Dialoge zwischen Jägern und Gejagtem können aber nicht überzeugen. Vogel erklärt David beispielsweise, warum er und andere Nazis die Juden töteten: Es sei leicht gewesen, weil die Juden schwach gewesen seien. Sie hätten sich nie zur Wehr gesetzt. Solch simplen Erklärungsversuchen für den Massenmord an Millionen Menschen hat der junge Mann nichts entgegenzusetzen außer blinder Wut.
Trotz eines gelungenen Spannungsbogens krankt der Film insgesamt an einer verfehlten Schwerpunktsetzung. Anstatt detailliert die gescheiterte Mission von 1966 zu zeigen, wäre die gegenwärtige Suche Rachels nach Vogel psychologisch aufschlussreicher gewesen, schließlich sind auf dieser Ebene die Gewissensbisse angesiedelt. Stattdessen wird gleich zweimal in der Nahaufnahme und mit viel künstlichem Blut gezeigt, wie Rachel damals eine riesige Narbe im Gesicht bekommen hat. Das ist übertrieben. Die eigentliche Chance, die offene Rechnung Jahre später zu begleichen, wird in dem Film nur kurz abgehandelt. Der Schluss kommt dann überraschend – und wird der Geschichte nicht gerecht. (dpa/APA)