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Ein Virus geht um: "The.Heldenplatz.Thing"-Premiere in Wien

Trotz Coronavirus-Maßnahmen fand die Premiere von "The.Heldenplatz.Thing" im Wiener Off Theater statt.
Trotz Coronavirus-Maßnahmen fand die Premiere von "The.Heldenplatz.Thing" im Wiener Off Theater statt. ©Pixabay.com (Sujet)
Während in den Bundestheatern, im Volkstheater und der Josefstadt, ja sogar in Mittelbühnen wie TAG oder Rabenhof wegen der Coronavirus-Maßnahmen der Regierung der Spielbetrieb eingestellt wurde, ließ es sich das Wiener Off Theater nicht nehmen, wie vorgesehen, die Premiere von "The.Heldenplatz.Thing" zu verfolgen - mit sehr gemischten Gefühlen.

Die Spezialität von Ernst Kurt Weigel und seiner Gruppe bernhard ensemble sind sogenannte Theater-Mash-ups. Mit diesen wilden Mischungen aus Theaterstücken und Filmen war man etwa 2015 mit "The.Big.Lumpazi" (bestehend aus Nestroys "Lumpazivagabundus" und "The Big Lebowski" der Coen Brothers) und 2018 mit "Liliom.Club" (nach "Liliom" von Franz Molnár und "Fight Club" von David Fincher) erfolgreich und schaffte damit sogar eine Nestroy-Nominierung. Diesmal spannte Weigel John Carpenters Science-Fiction-Horror "The Thing" aus 2011 mit Thomas Bernhards "Heldenplatz" zusammen. Von Letzterem blieb an dem 110-minütigen Abend allerdings kaum etwas übrig.

Premiere von "The.Heldenplatz-Thing" im Wiener Off Theater

Das von Julia Trybula geschaffene Bühnensetting nimmt deutlich auf "The Thing" Bezug und stellt eine Iglu-artige, weiße Gitterkonstruktion in die Mitte des Raumes, an dessen Wänden rund 80 Zuschauer auf zwei Sesselreihen Platz nehmen. Während im Carpenter-Film norwegische Wissenschafter in der Antarktis ein abgestürztes außerirdisches Raumschiff und in ihm einen in einem Eisblock eingeschlossenen Alien entdecken, der chamäleonartig die Gestalt jedes Lebewesens annehmen kann, ruft Expeditionsleiter "Curd" (Ernst Kurt Weigel) die Zuschauer gleich einmal zur Mitarbeit auf. Frage: "Was verbindet uns?" Spontane Antwort aus dem Publikum: "Das Coronavirus." Großes Gelächter.

Zunächst geht es zwar nur darum, eine Alternativbotschaft zu Kurt Waldheims Voyager-Sprechplatte von 1977 ins All zu schießen, um Österreich als freundliches, weltoffenes Land darzustellen, dass sich von seiner Nazi-Vergangenheit distanziert. Doch dann schlägt auch in "The.Heldenplatz.Thing" das Virus zu. Es ist ein Antisemitismus-Keim, der sich blitzschnell zu verbreiten droht. Am Infektionsherd Heldenplatz sollen sich bereits acht Millionen Menschen angesteckt haben. Erste Modellrechnung der Wissenschafter: Bleibt es bei dieser Ausbreitungsgeschwindigkeit, ist die Weltbevölkerung innerhalb von 27 Minuten mit Judenhass verseucht.

Paralleln zur Coronavirus-Krise

Die Parallelen zu der derzeitigen Coronavirus-Krise sind frappant und werden genüsslich bedient. Bald stellt sich in der "Bubble" die Frage: "Ist da draußen noch alles normal? Fließt die Donau noch?" Ein Wissenschafter wagt sich nach draußen und meldet sich per Videotelefonie: In der Seestadt, in der Konditorei Sluka, im Theater in der Josefstadt (wieder großes Gelächter) ist alles ausgestorben. Irgendetwas geht vor sich... In der Zwischenzeit treibt "The Thing" als schwarz kostümiertes Phantom auch im Iglu sein Unwesen und droht alle zu infizieren. Panik! Rasch ist eine Schusswaffe in Gebrauch.

Die Handlung wird unübersichtlich, das Spiel zunehmend hysterisch, und erst spät sind Textpassagen aus Thomas Bernhards "Heldenplatz"-Suaden auszunehmen, die sich nun angesichts des sich rasant ausbreitenden Antisemitismus-Virus als geradezu visionär entpuppen. Vorwärts in die Vergangenheit! Als dann endlich fast alle in der Tiefkühltruhe gelandet sind, breitet sich angenehme Stille aus. Nur Frau Zittel überlebt. Und "The Thing" natürlich.

Künstlerisch hat "The.Heldenplatz.Thing" große Mängel. Doch die äußeren Umstände sorgen für geradezu unheimliche Aktualität. In den Schlussapplaus mischen sich grundsätzliche Überlegungen: Ist jedes Theater besser als gar kein Theater? Immerhin bekommt die Off-Szene in den nächsten Wochen durch den Wegfall der "großen" Konkurrenten eine einzigartige Chance. Es ist ihr sehr zu wünschen, dass sie diese zu nutzen versteht. Damit die Menschen nicht am Ende draufkommen, dass es auch gegen das Theater-Virus eine wirkungsvolle Gegenmaßnahme gäbe: nämlich Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren.

(APA/Red.)

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