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Ein klares Ziel vor Augen

(VN) Dornbirn - Meryem Güngör hat ihre Lehrstelle gekriegt. Es sah anfangs nicht danach aus.

Immer öfter ist von den Bildungsverlierern die Rede. Immer schwingt Ratlosigkeit mit. Als spräche man von Ballast, der sich nicht abschütteln lässt. Dabei kann es auch anders sein. Meryem Güngör ist das beste Beispiel.

Kaum Aussichten

Es sah nicht so aus, als zeichnete sich eine Perspektive jenseits von Gelegenheitsjobs am untersten Limit ab. Und heute? Ist sie Friseurlehrling und träumt mit einiger Berechtigung davon, einmal selber einen Salon zu eröffnen.

Die 18-jährige Meryem Güngör wuchs in Dornbirn auf. Hier ging sie bis zur dritten Klasse in die Hauptschule. Dann war Schluss. Sie blieb fortan zuhause. Warum? „Ich bin zwei Mal hockengeblieben“, erzählt sie freimütig. „Ein drittes Mal hätte ich noch wiederholen können. Aber das hatte keinen Sinn mehr.“ Meryem hatte fast nur Fünfer im Zeugnis. „Kein Bock und nichts gelernt“ blieb unterm Strich als Resümee einer verhauten Schullaufbahn.

„Dann halt Hilfsarbeiter“

Im Augenblick schien ihr das gar nicht so tragisch. „Ich hab mir gedacht, werd ich halt Hilfsarbeiter.“ Meryems Eltern sind das schließlich auch. Ein halbes Jahr lang blieb Meryem also zuhause. Dann schleppte sie eine Freundin zu „Jugend am Werk“ nach Bregenz. „Eine Woche Arbeit, eine Woche Berufsvorbereitung“, das hat Meryem durchgezogen. Aber ihre Bewerbungen blieben erfolglos. „Überall war es dasselbe“, erzählt Meryem. „Du hast keinen Abschluss, haben sie gesagt. Wir wissen nicht, wie Du Dich in der Berufsschule aufführen wirst.“ Es hagelte Absagen.

Meryem legt die Hände übereinander, und Farbspuren an ihren Fingern verraten, dass sie beim Haare-Färben helfen durfte. Auch Strähnchen darf sie schon gestalten. Sie wirkt so stolz, wenn sie davon erzählt. Ihr Vater hat ihr schon Modell gesessen, an Freunden hat sie öfter mal Erlerntes ausprobiert. Von wegen, im ersten Lehrjahr darf man nur zusammenkehren. Meryem lernt täglich dazu. Damals, ohne Abschluss, schien das alles Lichtjahre weit entfernt.

Ein Ziel – ein Weg

Meryem wollte unbedingt Friseuse werden. Aber ohne Abschluss? Keine Chance! Zwei Tage lang hat sie beim Hauptschulabschlussprojekt „Albatros“ in Dornbirn geschnuppert. Dann klemmte sie sich wieder hinter die Bücher. Sie hat ein Jahr gebraucht, um den Hauptschulabschluss nachzuholen. Am Ende fand sich auch die nötige Lehrstelle. In zwei Monaten schließt Meryem ihr erstes Jahr bei den „Weltfriseuren“ in Dornbirn ab.

20 Prozent brechen ab

Wenn Miriam Lageder von „Albatros“ ihre ehemalige Schülerin betrachtet, kann sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. Das hätte sie nicht zu hoffen gewagt. Von den 40 Jugendlichen, die jährlich bei ihr um den Abschluss kämpfen, werfen 20 Prozent vorzeitig das Handtuch. „Heuer haben 14 Schüler ihren Abschluss geschafft.“ Zehn weitere, hofft Lageder und klopft auf Holz, „werden noch folgen.“

Meryem kommt regelmäßig auf Besuch. Es geht ihr richtig gut. Sie will Gesellin werden und später auch den Meisterbrief erwerben. Und irgendwann möchte sie ihren eigenen kleinen Friseursalon eröffnen. Dass sie zu faul war für die Schule, kann sie heute lachend offen zugeben. Meryem hat ein Ziel vor Augen. Ihre Lehrstelle und die Kollegen sind ihr zum zweiten Zuhause geworden. Meryem Güngör ist der lebende Beweis, dass es auch mit beträchtlichen Startschwierigkeiten noch klappen kann. (VN)

ZUR PERSON
Meryem Güngör
hat den Pflichtschulabschluss im zweiten Anlauf gemacht.
Geboren: 1993 in Dornbirn
Ausbildung: Pflichtschule
Laufbahn: im ersten Lehrjahr als Friseurin

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