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Ein Geschäft mit der Armut

Der erste Sozialmarkt in der Braunspergengasse 30, im 10. Wiener Gemeindebezirk, ist eröffnet. Den ersten Einblick liefert das Jugendmagazin Chilli.cc mit einer Reportage vor Ort.

Montag, zehn vor zehn. Vor dem Eingang des ehemaligen Malergeschäfts im zehnten Wiener Gemeinde-Bezirk bildet sich eine kleine Schlange. Um die zwanzig, mit Trolleys bewaffnete Menschen warten darauf Kunden des ersten Wiener Sozialsupermarktes zu werden. Eine Eröffnungsfeier ist nicht geplant, weder die Bezirksvorstehung noch der Sozialminister haben sich angekündigt. Immerhin, der ORF hat einen Mann vom Radio abgestellt und auch ein Mitarbeiter eines weiteren Senders schleicht sich zum Eingang durch. Das war’s dann aber auch.

Warten und sudern
Für die wartende Menge ist schnell ein gemeinsames Thema gefunden, Sudern verbindet ja schließlich: „Ich sag Ihnen, es wird immer schlimmer. Alles wird teurer und jetzt muss ich auch noch um Lebensmittel betteln“, empört sich eine ältere Frau, „und jetzt streiken auch noch die Ärzte.“ „De wolln uns olle veroaschn“, nickt ihr der Mann gegenüber zustimmend zu. Eine Antwort bleibt aus, denn die Ladentür öffnet sich und die bislang wartende Masse drängt ins Geschäft. Es geht ein paar Treppen nach unten, ein Vorraum mit Theke, dann der Verkaufsraum, insgesamt zweihundert Quadratmeter. Hinter der Theke zwei Mitarbeiter, die Formulare verteilen.

Studierende im Altersheim
Nicht jedem ist es gestattet, die Vorteile des Sozialmarktes zu nutzen. Bei jedem Kauf muss der Kunde einen Mitgliedsausweis vorzeigen. Und für den Ausweis muss ein Einkommen von unter achthundert Euro netto nachgewiesen werden. Bedürftige, Mindestpensionisten oder Pflegefälle sind demnach die Zielgruppen. Doch auch Studierende bekommen einen Ausweis ausgestellt, wenn sie den Bezug eines Stipendiums nachweisen können. Alexander Schiel, der Betreiber des Sozialmarktes, beteuert, dass Menschen, die Sozialmärkte besuchen, quer durch alle Altersgruppen zu finden sind. Am heutigen Eröffnungstag würden sich Studierende aber eher wie im Altersheim fühlen. Kaum ein Jugendlicher wagt den Schritt in den Laden.

Drei Stück pro Person
Die Einrichtung ist karg und erinnert keinesfalls an einen Supermarkt. Kalte Wände, ein einziges Plakat im ganzen Raum, die Regale sind einfach und Flaschen werden auf dem Boden gestapelt. Die Taktik der Supermärkte, teure Produkte in Augenhöhe zu platzieren, ist hier überflüssig. Dennoch kommt bei den meisten Kunden echte Shopping-Laune auf, trotz des Einkaufslimits von 35 Euro pro Woche. „Bitte nur drei pro Person“, ermahnt Schiel freundlich einen Kunden, der mindestens fünf Packerl Kaffee in seinen Einkaufskorb geschlichtet hat. Bei den Preisen wird es den meisten jedoch ohnehin schwer fallen, das Limit zu überschreiten, denn sie bewegen sich im Cent-Bereich.

Bedenkenlos abgelaufen: kostenlose Kaffeemilch
Die Regale sind voll gepackt mit Markenprodukten, die für ein Drittel der marktüblichen Diskontpreise zu haben sind. So kostet eine 2,5 Liter Flasche eines populären Zuckerwassers nur 65 Cent, eine Packung Marken-Tee lediglich achtzig und ein Pflege-Bad gerade einmal einen Euro. Wem diese Preise zu hoch sind, kann bei der kostenlosen Kaffeemilch zugreifen. Die ist zwar schon abgelaufen, aber kann noch bedenkenlos konsumiert werden, wie Schiel versichert. Er müsse ein ziemlicher Gutmensch sein, ein Projekt zu starten, bei dem alle profitieren: Firmen sparen an Entsorgungskosten, sozial Bedürftige freuen sich über Waren zu symbolischen Preisen und die Gewinne werden an karitative Organisationen gespendet. „Licht ins Dunkel“ habe er im Sinn, meint Schiel. Aber ein besonders großes Herz habe er nicht: „Es ist einfach hin und wieder schön, wenn man was Gutes tut.“

Lesen Sie die komplette Reportage auf www.chilli.cc

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