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Ein "auf und ab": Die unbekannte Geschichte der Aufzüge in Wien

Vom einfachen Mann bis zur Bundeskanzlerin - ein Aufzug unterscheidet nicht, wer in ihm fährt.
Vom einfachen Mann bis zur Bundeskanzlerin - ein Aufzug unterscheidet nicht, wer in ihm fährt. ©APA/dpa/Michael Kappeler
So etwas Alltägliches wie ein Fahrstuhl zog in Wien weitreichende Veränderungen mit sich. Nicht nur das Wohnen in Hochhäusern wurde komfortabler, auch verschiedene Berufsgruppen profitierten von der Erfindung. Seine Entwickler gehören gewiss zu den "Wohltätern der Menschheit", wie das Wiener Tagblatt am 2. Oktober 1901 schrieb.

Auf und Ab” nennt Peter Payer seine Kulturgeschichte des Personenaufzugs in Wien. Auf 200 schön bebilderten Seiten breitet der Stadtforscher die Historie des vertikalen Transportmittels in der Bundeshauptstadt aus, beschreibt Anfänge und Ausbreitung, Technik und Design sowie soziale und alltagskulturelle Folgen jener Kabinen, dank derer sich plötzlich ein Stockwerk genauso mühelos bezwingen ließ wie zehn Geschoße.

Erster Lift in Schloss Schönbrunn

Erste Konstruktionen zur Vermeidung des mühseligen Stiegensteigens gab es schon im Barock. Maria Theresia ließ etwa 1772 im Westflügel von Schloss Schönbrunn eine per Hand betriebene Hebevorrichtung, eine Art senkrecht bewegbare Couch, einbauen. Der motorisierte Lift trat in den 1850er-Jahren von den USA aus seinen Siegeszug an.

In Wien wurde das erste moderne Exemplar – nicht allzu überraschend – an einer repräsentativen Adresse errichtet. Baron Johann von Liebig ließ ihn 1869 in sein Palais in der Wipplingerstraße einbauen, er funktionierte hydraulisch und konnte zwei Fahrgäste befördern. War dies noch ein rein privater Luxus, wurde der erste öffentlich benutzbare Aufzug ein Jahr später zum Medienstar. Zeitungen berichteten begeistert von der am 10. Mai 1870 im Grand Hotel am Kärntner Ring eingeweihten Novität: “Wer nicht steigen will, wird in einem allerliebsten kleinen Gemach ‘hinaufgewunden’.” 55 Sekunden dauerte die Fahrt in den vierten Stock.

Boom im 20. Jahrhundert

Die Weltausstellung 1873 sorgte für einen ordentlichen Schub in Sachen Liftbau. Nicht nur eine Reihe von Hotels wurden damit ausgestattet, auch am Ausstellungsgelände selbst war das spektakuläre Verkehrsmittel eine Attraktion. Um die Jahrhundertwende feierte der Aufzug schließlich seinen Durchbruch. 1900 waren in Wien 412 Personenlifte erfasst, 1913 waren es schon 2.586. Dazu kamen noch 7.046 Lastenaufzüge. Durch die verhältnismäßig lange Verweildauer in der Kabine war diese fast wie ein kleiner Salon ausgestattet – Teppich, gepolstertes Sofa, getäfelte Wände, formschöne Beleuchtungskörper und geschliffene Spiegel inklusive.

Die Reichen entdeckten die Dachgeschosse

Die Bezwingung der Vertikale änderte auch das Stadtgefüge. Einerseits konnten – was wegen des massiven Bevölkerungswachstums auch nötig war – bedenkenlos höhere Wohnhäuser gebaut werden. Andererseits änderte sich die soziale Hierarchie in den Gebäuden selbst. Denn waren die obersten Stockwerke früher billige Bleiben für Dienstboten und arme Leute, wurden sie dank bequemer Erreichbarkeit und besserer Licht- und Luftverhältnisse zu begehrten Wohnlagen der Begüterten. Das Penthouse war erfunden.

Hausmeister musste Aufzug bedienen

Mühselig konnte die Liftbenutzung trotzdem sein. Denn in vielen Häusern waren die Bewohner vom Hausmeister abhängig, der gleichzeitig als Aufzugswärter diente und als solcher die Kabine steuerte. Nicht nur, dass pro Fahrt eine Extra-Entlohnung anfiel, war der Herr über den Aufzug oftmals nicht auf seinem Posten oder nicht einsatzfähig, weil beispielsweise betrunken.

Technische Weiterentwicklungen machten den Liftwart dank Druckknopfsteuerung allerdings bald obsolet. Das erleichterte bestimmten Gruppen ihren Berufsalltag erheblich – etwa den Postbediensteten, die damals Briefe persönlich an die Wohnungstür brachten und in manchen Stadtteilen bis zu sieben Mal täglich zustellten.

Eine sanftere Ansteuerung der Stockwerke ließen anfängliche Berichte über die “Aufzugskrankheit” – vergleichbar mit der Seekrankheit – wieder in Vergessenheit geraten, bessere Sicherheitsvorkehrungen und strengere Vorschriften verringerten die Zahl der Unfälle und damit auch die Bedenken der Bevölkerung sukzessive.

Speed-Rekordhalter im Donauturm

Die beiden Weltkriege bremsten die Aufzugsbranche – Payer widmet den Wiener Herstellern einen eigenen Abschnitt – deutlich. In Schwung kam sie erst wieder in den 1950er-Jahren, als man endlich auch in Wien anfing, Hochhäuser zu bauen. Vielgeschossige Büro-, Wohn- und Geschäftsgebäude wurden immer häufiger standardmäßig mit Liften ausgestattet, die immer schneller fuhren. Der langjährige Speed-Rekordhalter war allerdings in einem Wahrzeichen untergebracht. Die beiden Expresslifte im 1964 eröffneten Donauturm waren mit ihren 22 km/h die schnellsten in ganz Europa. In 24 Sekunden konnten die Besucher die 151 Meter lange Distanz bis zur Aussichtsplattform zurücklegen. Zum Vergleich: Ein herkömmlicher Wohnungsfahrstuhl kommt auf 3,6 km/h.

250 Wiener Aufzüge älter als 100 Jahre

Heute wären in vielen modernen Türmen Fortbewegung und Logistik ohne Aufzug gar nicht mehr bewältigbar. Im höchsten Haus Österreichs, dem 250 Meter hohen DC Tower 1, verkehren allein 29 Exemplare. Sie sind auch die flottesten des Landes und brausen mit 29 km/h auf- und abwärts. Weltweit gibt es derzeit rund 13 Millionen Aufzüge – davon rund 44.000 (inklusive Rolltreppen) in Wien. Davon wiederum sind 250 inzwischen älter als 100 Jahre und geben somit noch einen ungefähren Eindruck von den aufregenden Anfangszeiten des motorisierten Vertikalverkehrs.

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