Mehr als 33 Jahre vergingen von der Fertigstellung von Canettis Erstlingsdrama Die Hochzeit bis zur Uraufführung im November 1965 in Braunschweig, die auch prompt einen ausgewachsenen Skandal hervorrief und gar zu einer Strafanzeige wegen Erregung geschlechtlichen Ärgernisses führte. Der Autor selbst hatte diese kompromisslose Abrechnung mit dem verluderten Bürgertum (nicht nur der damaligen Zeit) als moralisches Stück, das aufzeigt, welches Strafgericht der Mensch durch sich selbst heraufbeschwören kann, bezeichnet. Familie und Bekannte des Oberbaurates Segenreich wollen die Hochzeit seiner Tochter Christa feiern.
Doch im Beziehungsgeflecht der ganzen Gesellschaft werden unzählige Verknotungen offenbar, es gärt grässlich in allen Belangen des Zwischenmenschlichen. Raffgier, (Selbst-)Betrug und ausufernde Triebhaftigkeit sind die Hauptzutaten für ein Menü, welche das vermeintliche Fest zu einer Katastrophe hochschaukeln. Das für seine mutigen Inszenierungen bekannte Provinztheater Egg hat unter der klugen Leitung von Beatrix Schwärzler und Silke Moosbrugger (Assistenz) den Einakter quasi als Rocky Horror Stage Show angelegt.
Die insgesamt 13 Amateure auf der kleinen, aber ausgesprochen effektiv genützten Bühne zu Egg agieren absolut professionell, bedienen pointiert und in teils großartigem Einsatz das Schaufenster charakterlicher Unzulänglichkeiten und sexueller Hemmungslosigkeit, ohne auch nur für einen Moment ins Platte abzurutschen. Der individuelle Wahnsinn wird greifbar, das Beklemmende des unweigerlich nahenden Untergangs erfährt nur in dezenten Gesten eine psychologische Auflockerung. Bei allem Verdacht der Überspitzung bleibt der Stoff auch in dieser Version zeitlos. Nicht nur des aktuellen politischen Alltags in diesem Lande wegen. Regie (samt Technikteam) und Ensemble gebührt jedenfalls ein dickes Lob für dieses deftige Theatervergnügen!