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"Dutroux in den Alpen"

Wie der Peiniger von Natascha Kampusch hatte auch der belgische Kinderschänder Marc Dutroux seine Opfer in einem weißen Lieferwagen entführt.

Zwei Tage nach der Flucht der jungen Österreicherin nach acht Jahren Gefangenschaft sehen viele Menschen in Belgien Parallelen zu ihrem nationalen Trauma Nummer eins. Aber der Vergleich zur Dutroux-Affäre, die das Land Ende der neunziger Jahre erschüttert und in einer Regierungskrise gestürzt hatte, zeigt auch viele Unterschiede.

„Die Fotos im Keller von Priklopil vermitteln ein Deja-Vu-Erlebnis“, schrieb die Tageszeitung „De Standaard“ am Freitag. Der Fall Natascha erscheine auf den ersten Blick sogar wie eine Kopie der Entführungen von Dutroux, der 2004 in Arlon wegen dreifachen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Möglicherweise nahm sich Wolfgang Priklopil sogar „das Monster von Marcinelle“ zum Vorbild, kommentiert auch die Zeitung „La Dernier Heure“ (DH) mit Hinweis auf den Ort des Schreckens im Süden Belgiens, wo Dutroux sechs Mädchen in einem Folterkeller gefangen gehalten hatte. Priklopil hatte sich wahrscheinlich mit dem anderen Fall auseinander gesetzt, denn Natascha Kampusch verschwand nur anderthalb Jahre, nachdem der belgische Pädophile gefasst wurde.

Auch andere Parallelen gibt es. Beide Täter hatten ihr Versteck besonders gut getarnt. Dutrox war gelernter Elektriker, Priklopil vom Beruf Nachrichtentechniker. Aber bei näherer Betrachtung zeigen sich auch Unterschiede. Der Österreicher wohnte nicht in einer heruntergekommenen Gegend, sondern in einem gepflegten Haus. Im Vergleich zu dem Loch, in dem der belgische Kinderschänder die beiden später befreiten Mädchen Sabine Dardenne und Laetitia Delhez versteckte, „hat das Versteck unter der Garage von Priklopil fünf Sterne“, kommentiert „La Dernier Heure“. Die belgischen Mädchen hatten zusammen gerade eine Fläche von zwei Quadratmetern zur Verfügung und mussten ihre Notdurft auf einem Kübel verrichten, ehe ihr Martyrium nach 80 Tagen ein Ende hatte.

Die Geschworenen sahen es 2004 nicht nur als erwiesen an, dass der wegen Vergewaltigung vorbestrafte Dutroux die zwei Mädchen An Marchal und Eefje Lambrecks sowie einen Komplizen ermordet hat. Zusammen mit seiner Ehefrau wurde er auch der Freiheitsberaubung mit Todesfolge im Fall der damals achtjährigen Julie und Melissa schuldig gesprochen. Verurteilt wurde auch Michel Lelievre, der dem Kinderschänder nach Ansicht der Geschworenen bei seinen Entführungen half.

Die Geschichte des Kriminellen Dutroux ist in Belgien auch eine des totalen Versagens der Behörden. Bis heute ist das Land darüber gespalten, ob er seine Verbrechen im Auftrag „höherer Kreise“ verübt hat. Tatsache ist, dass unglaubliche Pannen passierten. Wie auch Priklopil entkam Dutroux dem Netz der Fahnder, „aber in Belgien war das nicht aus Mangel an Beweisen, sondern einfach das Fiasko der Operation Orthello“, schreibt „La Dernier Heure“. Trotz einer Hausdurchsuchung hatten die Polizisten das Kellerversteck nicht gefunden. Nach seiner Verhaftung gelang Dutroux 1998 sogar kurz die Flucht bei einem Gerichtstermin, was zum Rücktritt des Innen- und Justizministers sowie des Polizeichefs führte.

Der Fall Kampusch sei „nur ein klein bisschen Dutroux in den Alpen“, titelte „De Standaard“. Rein physisch, so spekulieren belgische Medien weiter, gleiche Nataschas Entführer eher dem französischen Serienmörder Michel Fourniret in seinen jungen Jahren. 2005 hatten die österreichischen Behörden in Belgien prüfen lassen, ob es im Fall Kampusch eine Verbindung mit dem mittlerweile hinter Gittern sitzenden Fourniret gab – ohne Ergebnis. Der mit der Aufklärung eines anderen spektakulären Mordes – dem Fall der im Juni erdrosselten Mädchen Stacy und Nathalie – beauftragte Kommissar Alain Remue sieht in Nataschas geglückter Flucht einen Hoffnungsschimmer. „Dieser Fall ist der Beweis, dass man niemals nie sagen und aufgeben darf“, sagte er der Zeitung „La Meuse“. Allzu viel Hoffnungen will er Eltern von vermissten Kindern aber auch nicht machen: „Die Kinder werden gewöhnlich Stunden nach ihrer Entführung umgebracht.“

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