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"Drive"-Regisseur Nicolas Winding Refn im Interview: "Kunst ist ein Akt der Gewalt"

Regisseur Nicolas Winding Refn präsentierte seinen neuen Film "The Neon Demon" bei der Österreich-Premiere in Wien
Regisseur Nicolas Winding Refn präsentierte seinen neuen Film "The Neon Demon" bei der Österreich-Premiere in Wien ©APA/HERBERT PFARRHOFER
Anlässlich der Österreich-Premiere von "The Neon Demon" fand am Mittwoch eine Galanacht mit dem dänische Regisseur Nicolas Winding Refn ("Drive", "Bronson", "Only God Forgives") statt.

Im Interview spricht der 45-Jährige über Kreativität, die geänderte Perspektive des neuen Films und seine Arbeitsweise.

Was steht für Sie am Beginn eines Projekts: Ein Bild oder die Geschichte?

Winding Refn: Für mich steht immer das Bild am Anfang. Das war aufgrund meiner Dyslexie meine Art, Kreativität zu verstehen, als ich jünger war: über Bilder und Musik.

Zugleich drehen Sie stets ohne Storyboard. Haben Sie das zumindest im Kopf?

Niemals. Ich komme zwar zum Set und weiß, was ich drehen will. Ich drehe dann aber in chronologischer Reihenfolge und versuche, mich dazu zu zwingen, so instinktiv vorzugehen wie möglich.

Chronologisch zu drehen ist schwieriger und teurer. Wo liegt da für Sie der Vorteil?

Man muss schon damit im Kopf schreiben. Es gibt dem Ganzen einen gewissen Flow, in dem sich alles wandeln kann. Filme sind wie Gemälde, Musik oder Literatur: Es ist gut, wenn man mit einer Entwicklung mitgeht und nicht einem fertigen Handbuch ankommt, dem man dann nur noch folgt. Da sind lauter Gefühle in der Luft, und ich zwinge mich so selbst dazu, instinktiv auf meine Umgebung zu reagieren. Das ist mein Flow, in den ich die anderen reinziehe. Damit bringt man alle auf diese Ebene und schaut, was passiert.

APA/HERBERT PFARRHOFER
APA/HERBERT PFARRHOFER ©APA/HERBERT PFARRHOFER

Das bedeutet, Sie wissen am ersten Drehtag nicht, wie der fertige Film aussehen wird…

Absolut. Und oft – wie auch jetzt bei “Neon Demon” – denke ich in der Mitte: Ich ändere das Ende.

Hitchcock hätte Sie gehasst…

Es ist halt einfach eine andere Art, Filme zu machen.

Auch “Neon Demon” hat wieder einen sehr markanten Look. Wie stark war für Sie der Einfluss von 80er-Jahre-Filmen wie “Begierde”?

Den habe ich allenfalls gesehen, als er rauskam, aber natürlich stiehlt jeder. Kreativität bedeutet, die Kreativität von jemand anderem zu verschlingen und sie zu deiner eigenen zu machen. Menschen, die behaupten, sie würden nicht stehlen, lügen ganz offensichtlich.

Man könnte es ja euphemistisch “Einfluss” nennen…

Es bleibt Diebstahl. Aber das ist ja auch in Ordnung. Glauben Sie, Picasso hat nicht gestohlen? Kreativität bedeutet nicht, Dinge aus dem Nichts heraus zu erfinden. Wir sind alle Produkte davon, was unser Leben berührt und uns inspiriert.

Für “Neon Demon” haben Sie nun erstmals mit zwei Drehbuchautorinnen zusammengearbeitet…

Ich arbeite mit niemandem zusammen! Kreativität heißt für mich nicht Kollaboration im Sinne von Demokratie. Ich habe kein Interesse an den Gefühlen von irgendjemand anderem. Ich interessiere mich nur für meine eigenen. Aber um auf meine Koautorinnen zu kommen: Manche Szenen hatten so einen femininen, mädchenhaften Dialog, dass mir klar war, dass ich von Frauen profitieren würde. Ein Teil des Prozesses ist, von anderen alle Ideen abzusaugen. Regie führen bedeutet, jeden um dich herum zu ermutigen, sein Bestes zu geben. Und dann zieht man weiter.

Wollten Sie nach einigen “Männerfilmen” wie “Drive” oder “Only God Forgives” nun dem weiblichen Blick im Kino zu seinem Recht verhelfen?

Nein. Ich wollte einen Film über ein 16-jähriges Mädchen machen. Ich bin aber nicht 16 und ich bin kein Mädchen. Meine Tochter kommt langsam in die Pubertät. Und ich bin fasziniert, wie sich da die Zukunft formt: Die Entwicklung des Narzissmus als Tugend, als eine Qualität. Es ist kein Tabu mehr, die unbedingte und allumfassende Eigenliebe auszudrücken. Und was ist daran falsch? Das ist ein weiterer Schritt in der Entwicklung der Menschheit. Deshalb gibt es diesen großen Graben zwischen meiner Generation und der meiner Kinder. Die sind so viel weiter.

Sie meinen die Selfie-Generation?

So nennen wir sie, weil wir sie degradieren oder definieren wollen und um über sie zu lachen. Aber im Kern sind sie uns weit voraus.

Sehen Sie da nicht auch die Gefahr von Egozentrik?

Was ist daran falsch?! Wir nehmen ihre Individualität und pressen ihnen eine Moral rein, die ihnen sagen soll, wie die Dinge zu laufen haben. Da ist wie beim Kino, das sich seit seiner Erfindung zur perfekten, geölten milliardenschweren Maschine entwickelt hat, die sich Hollywood nennt und von nur wenigen Menschen kontrolliert wurde, die definiert haben, was gut und schlecht ist. Das Kino ist auf diesem Wege stagniert – bis die digitale Kultur aufkam. In der Zukunft wird dieses ganze System verschwinden. Alles wird frei zugänglich, alles ist möglich. Gut oder schlecht werden keine relevanten Kriterien mehr sein, weil es für alles ein Publikum geben wird.

Welche Rolle hat da noch die Kreativität?

Winding Refn: Die Zukunft der Kreativität wird sich nicht mehr darum drehen, was du machst – denn es wird von allem so viel geben. Es geht darum, wofür du stehst. Es wird auf den Individualismus der Kreativität zurückgehen. Das ist aufregend und eröffnet ganz neue Wege. Sehen sie es so: Das Kino hat es bis zur Kutsche geschafft, aber nicht darüber hinaus. Die digitale Revolution hat das Auto erfunden. Und nun stellen sie sich vor, wenn wir es bis zum Flugzeug schaffen!

Sie klingen ja wie ein Optimist?!

Winding Refn: Aber natürlich! Warum sollte ich keiner sein? Wir haben eine unglaublich glänzende Zukunft vor uns.

An Ihren Filmen kann man das nicht ablesen. Sie sind nicht direkt ein Freund des Happy End…

Ich höre nie mit einem Happy End auf, aber es geht immer weiter, alles ist im Fluss. Am Ende von “Neon Demon” gewinnt der Narzissmus. Aber vielleicht ist das gar nicht so negativ.

Gewalt spielt auch in “Neon Demon” wieder eine zentrale Rolle. Welche Funktion hat die Gewalt auf der Leinwand?

Kunst an sich ist ein Akt der Gewalt, der dich verletzt. Kreativität inspiriert, indem sie deine Psyche verletzt. Der Kern von Kreativität ist eine Reaktion darauf, dass deine Emotionalität getroffen wurde. Ob gut oder schlecht ist irrelevant. Das ist die große Macht von Kunst. Deshalb ist Kunst die größte Gedanken produzierende Macht auf der Welt. Krieg zerstört, Gewalt zerstört, Kunst inspiriert. Aber man kann nur inspirieren, indem man Gefühle evoziert. Man kommt nicht weit, wenn man nett ist. Nett ist für mich nicht besonders interessant.

Eine romantische Komödie werden Sie also auch in Zukunft nicht drehen…

Ich liebe romantische Komödien! Warum sollte ich keine drehen?! Lassen Sie sich überraschen.

Refn-Gartenbau
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Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA

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