Drei Jahre nach Erdbeben: L'Aquila als "Smart City"?

Bürgermeister Massimo Cialente, der seit seinem heldenhaften Einsatz nach dem Erdbeben im April 2009 großes Ansehen genießt, kämpft um seine Wiederwahl. Bei den Kommunalwahlen am 6. und 7. Mai geht er gegen weitere neun Bürgermeisterkandidaten ins Rennen, die die Führung der von dem katastrophalen Erdbeben erschütterten Hauptstadt der mittelitalienischen Region Abruzzen übernehmen wollen. “L’Aquila, eine Stadt der Zukunft!” lautet der Slogan eines Bürgermeisterkandidaten.
Die Zukunft des Verwaltungszentrums der Region Abruzzen, das von fast 3.000 Meter hohen Bergen umgeben ist, scheint ungewisser denn je. Die akute Rezession in Italien sowie die staatlichen Ausgabenkürzungen infolge der Schuldenkrise trüben die Perspektiven L’Aquilas zusätzlich. Die ehemalige Industriestadt, im 13. Jahrhundert von Staufenkaiser Friedrich II. gegründet, wirkt trotz seiner offiziell 70.000 Einwohner, irgendwie geisterhaft.
36 Monate sind seit jener Schreckensnacht am 6. April 2009 vergangen, als die Erde um exakt 3.32 Uhr scheinbar endlose 38 Sekunden lang bebte und die Menschen unter den Trümmern Angehörige und Freunde verloren. Das Hauptbeben hatte eine Stärke von 5,9 auf der Richterskala, zahlreiche Nachbeben erschwerten die Bergungsarbeiten. Die Anzahl der Toten belief sich nach offiziellen Angaben auf 309. Weitere 1.600 Personen erlitten Verletzungen.
Wiederaufbau gestaltet sich schwierig
Auf die Überlebenden wartete schon die brutale Realität. 65.000 Personen verloren in den Abruzzen ihr Dach über dem Kopf. Die Obdachlosen wurden in Zeltstädten und Hotels an der Adriaküste untergebracht. 15.000 Gebäude wurden beschädigt, 10.000 allein in der Regionalhauptstadt L’Aquila nahe dem Epizentrum. Das 400-Einwohner-Dorf Onna, acht Kilometer östlich von L’Aquila, wurde dem Erdboden gleich gemacht. 40 Menschen kamen dort ums Leben.
Drei Jahre später hat sich für die Bewohner L’Aquilas der Alltag immer noch nicht normalisiert. 21.700 Personen leben derzeit noch in den von der Regierung errichteten Blocks aus Holz, unweit der Stadt, in denen Obdachlose vorübergehend ein neues Heim gefunden haben. 11.000 Personen erhalten weiterhin staatliche Unterstützung, um sich außerhalb der Erdbebenstadt eine Wohnung mieten zu können. 339 leben nach wie vor in Hotels oder Polizeikasernen.
Drei Milliarden Euro kostete den öffentlichen Kassen der Notstand, weitere 10,6 Milliarden wurden für den Wiederaufbau locker gemacht. Nachdem die Notlage unmittelbar nach dem Beben gut gemeistert worden war, hätte für das Erdbebengebiet eigentlich “Phase 2”, nämlich die des Wiederaufbaus der Innenstadt, beginnen sollen. Doch dieser gestaltet sich schwierig. Bürokratische Hürden, Konflikte zwischen den zuständigen Behörden und Probleme mit den Finanzierungen bremsen den Neubeginn.
Historische Monumente zerstört
“Man hätte längst mit der großen Sanierung der Gebäude im Stadtkern beginnen sollen, doch wegen bürokratischer Ineffizienz bei der Vergabe der Aufträge und bei den Sanierungsplänen ist noch nichts in Bewegung gekommen. Jetzt will die Regierung Monti aus Spargründen die Ausgaben für L’Aquila kürzen. Nicht ein Euro ist in den Neubeginn der lokalen Wirtschaft investiert worden. Die Stadt ist komplett sich selbst überlassen”, klagte Bürgermeister Cialente. Die Gefahr sei, dass immer mehr Bürger die Gegend verlassen und die Stadt endgültig aussterbe.
Auch von vielen historischen Bauten blieben nur Trümmerberge. Touristen schätzten bis zum Erdbeben besonders den historischen Stadtkern L’Aquilas mit seinen barocken Palazzi, Springbrunnen und Kirchen. Zwar wurde die Restaurierung der monumentalen Basilika des heiligen Bernhardin von Siena aus dem 15. Jahrhundert sowie der Spanischen Festung in die Wege geleitet, viele andere Monumente liegen jedoch noch in Schutt und Asche.
Dabei hatte US-Präsident Barack Obama im Juli 2009 beim G8-Gipfel in L’Aquila seine volle Unterstützung für die Restaurierung von Monumenten zugesagt. “Obama hatte versichert, dass er ein Monument in L’Aquila ‘adoptieren’ und für die Kosten der Sanierung aufkommen würde, es ist aber nichts daraus geworden”, klagte der Vize-Kommissar für den Wiederaufbau, Luciano Marchetti.
Projekt „Smart City“ gibt Hoffnung
Doch für die vom Schicksal gebeutelte Stadt gibt es auch Signale der Hoffnung. Die Fachleuteregierung um den italienischen Premier Mario Monti hat zuletzt 700 Millionen Euro für den Wiederaufbau einiger öffentlicher Gebäude freigegeben. Dutzende Genehmigungen zur Sanierung öffentlicher und privater Bauten sollen nach Bewältigung bürokratischer Hürden erteilt werden. Die Regierung will auf High-Tech-Industrie setzen und hofft, dass mit Steueranreizen Unternehmen, die wegen des Erdbebens Schäden erlitten und die Region verlassen haben, zurückkehren.
Die Regierung stellte zuletzt ein innovatives Projekt vor, um L’Aquila mit internationalen Finanzierungen in eine “Smart City” umzuwandeln. Neue Verkehrskonzepte, energieeffiziente Gebäude und intelligente Energieversorgungsnetze sollen die Urbanisierung in nachhaltige Bahnen lenken. Das Projekt soll mit Hilfe der EU umgesetzt werde, die mehrere Milliarden Euro investieren will, um mindestens 30 europäische Städte bis 2020 anzuregen, sich innovativen Infrastrukturkonzepten, nachhaltigen Lösungen für Gebäude, Energie- und Wasserversorgung, Verkehr, Sicherheit und Gesundheitswesen zu öffnen. L’Aquila möchte um jeden Preis dabei sein.
Bürgermeister Cialente will in den kommenden Tagen die Sorgen um den Wiederaufbau vergessen und sich auf die Gedenkveranstaltungen konzentrieren. Am Donnerstagabend wollen sich Gemeindevertreter an einem Fackelzug zum Domplatz beteiligen, wo um exakt 3.32 Uhr die Glocken in Erinnerung an die Toten 309 Mal schlagen wird.
(APA)