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"Dramatische Entwicklung": Steigende Suizidrate in heimischen Gefängnissen

Die Justizanstalt Josefstadt weist aufgrund ihrer Größe die höchsten Zahlen auf.
Die Justizanstalt Josefstadt weist aufgrund ihrer Größe die höchsten Zahlen auf. ©APA/HELMUT FOHRINGER
Die besorgniserregende Zunahme von Suizidfällen in österreichischen Gefängnissen wird von der Volksanwaltschaft als dramatisch bezeichnet. Unzureichende Haftbedingungen und personelle Engpässe verschärfen die Situation massiv.

Die Volksanwaltschaft zeigt sich über die Suizidrate in den heimischen Gefängnissen besorgt. Die für den Strafvollzug zuständige Volksanwältin Gabriela Schwarz (ÖVP) spricht von einer "dramatischen Entwicklung". Seit Jahresbeginn seien nicht weniger als 40 versuchte und tatsächliche Suizidfälle verzeichnet worden, stellte Schwarz am Mittwoch anlässlich des Welttags der Suizidprävention fest. Zuletzt beging in dieser Woche ein Insasse der Justizanstalt (JA) Stein Suizid.

Haftbedingungen für Suizidrate mitverantwortlich

Laut Justizministerium gab es im heurigen Jahr bisher sieben Suizide und 24 Versuche, "welche ohne Einschreiten der Bediensteten den Tod zur Folge gehabt hätten und daher als lebensbedrohlich qualifiziert wurden", wie es in einer der APA übermittelten Stellungnahme hieß. "Das Justizministerium und die zuständige Generaldirektion für den Strafvollzug nehmen das Thema Suizid und Suizidprävention in Haft sehr ernst. Jeder Vorfall macht betroffen und wir arbeiten kontinuierlich daran, auch im Rahmen freiheitsentziehender Maßnahmen, Anzeichen frühzeitig zu erkennen und Menschen in psychischen Notlagen zu unterstützen", wurde betont.

Die Volksanwaltschaft führt die Suizidrate auf die "oft prekären Haftbedingungen" zurück. "Nachträglich befragt geben viele Insassen, die sich selbst verletzt haben, an, dass es ihnen geholfen hätte, wenn sie jemand zum Reden gehabt hätten", berichtete Schwarz. Hohe Belegzahlen und zu wenig Personal seien Alltag im Strafvollzug. Das führe zu schlechten Versorgungsbedingungen, erschwerter Resozialisierung und steigenden Suizidzahlen.

Justizanstalt Josefstadt mit den meisten Suizidfällen

Dass die meisten Suizidfälle im heurigen Jahr in der JA Josefstadt verzeichnet wurden, dürfte insofern nicht überraschen, als es sich dabei um das größte Gefängnis des Landes handelt, das mit Überbelag und personellen Engpässen kämpft. Im Strafvollzug müsse grundsätzlich "rasch etwas passieren, um die Zustände für Insassen und Personal zu verbessern. Hier geht es um Menschenleben", appellierte Schwarz.

Suizidfälle seit 2019 verfünffacht, Vorschläge werden ignoriert

Die versuchten und tatsächlichen Suizidfälle haben sich laut Volksanwaltschaft im Strafvollzug seit 2019 fast verfünffacht. "Während es 2019 insgesamt 13 Fälle gab, waren es im Vorjahr 60 Fälle. Diese Zahlen sollten uns alle alarmieren", gab Schwarz zu bedenken. Nach der Zählung des Justizministeriums, die nur "lebensbedrohliche" Versuche inkludiert, waren es 2024 zwölf Suizide und 22 Versuche. Eine zweite Einschätzung des Suizidrisikos nach Haftantritt sei jedenfalls dringend geboten, betonte Volksanwältin Schwarz: "Seit Jahren fordere ich eine Verbesserung der Suizidprävention von Strafgefangenen. Dazu gehört eine zweite Einschätzung zum Suizidrisiko nach den ersten acht bis zwölf Wochen in Haft."

48 Empfehlungen hätte eine Expertengruppe unter Beteiligung der Volksanwaltschaft im Auftrag des Justizministeriums 2023 vorgelegt, um das Suizidrisiko in den Justizanstalten zu senken. "Es liegen genug Verbesserungsvorschläge auf dem Tisch. Passiert ist bis dato nichts", bedauerte Schwarz.

Justizministerium weist Vorwürfe zurück

Das lässt man im Justizministerium nicht gelten und verweist auf die seit 2011 bestehende Fachgruppe Suizidprävention im Strafvollzug. Diese evaluiere ausgehend von der Auswertung vergangener Suizide und Suizidversuche laufend riskante Settings und gefährdete Personengruppen mit besonderem Betreuungsbedarf und treffe daraus Ableitungen für die Haftraumausgestaltung, erforderliche Betreuungsmaßnahmen und die Anforderungen an das Personal, hieß es am Mittwochnachmittag.

Überdies habe man im Vorjahr österreichweite Suizidpräventionsschulungen für Nachtdienstkommandantinnen und Nachtdienstkommandanten durchgeführt: "Das Wahrnehmen von Anzeichen, das Erkennen dieser Vorfälle sowie das Setzen weiterer Schritte wurde geschult. Aufgrund dieser Sensibilisierungsmaßnahme werden Suizidversuche noch öfter als solche erkannt und entsprechend dokumentiert, was sich in den Zahlen widerspiegelt." Außerdem gebe es regelmäßig interdisziplinär angelegte Suizidpräventionsschulungen und fachdienstübergreifende Indoorschulungen.

"Seit der Jahrtausendwende ist es gelungen, einen deutlichen Rückgang der Suizidzahlen zu bewirken. In diesem Zeitraum erfolgten eine ganze Reihe von Präventionsbemühungen, insbesondere Schulungen und Fortbildungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Justizanstalten und forensisch-therapeutischen Zentren", meinte das Ministerium abschließend.

(APA/Red)

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