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"Drachentöter fällt vom Pferd"

Der erste ausländische Presse-Kommentar zur Nationalratswahl in Österreich kam am Sonntagabend vom bayrischen Nachbarn: Die "Süddeutsche Zeitung" setzt auf "beherzten Bundespräsidenten".

Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt zu den massiven Verlusten für die ÖVP unter Wolfgang Schüssel:

„Der Wiener Drachentöter fällt vom Pferd. Ob Schüssel, der schon im Jahr 2000 ungerührt mit Haiders Leuten paktiert hat, diesmal der Versuchung widerstehen könnte, um der Macht willen das Bündnis mit der Rechten neu aufzulegen? Ein beherzter Bundespräsident, den Österreich in Heinz Fischer derzeit hat, könnte das kraft seiner großen Kompetenzen verhindern – und so für eine Art Wende sorgen.“

Kritisch beäugt man in Deutschland den Trend zur Großen Koalition – mit der das Nachbarland derzeit selbst wenig Freude zu haben scheint. Sorgen bereitet den Kommentatoren auch das Erstarken der „Rechtspopulisten“.

Die „Frankfurter Rundschau“ meint:
„Auch wenn es so scheint: Einen Linksruck hat es in Österreich nicht gegeben. Bei näherem Hinsehen enthält das Ergebnis eine andere Botschaft. Sie geht an ganz Europa: Wenigstens in kleineren Ländern wird künftig konservativ, sozial und vor allem national gewählt. Die besten Chancen hat eine Partei, die alle drei Anforderungen vereinigt. Diese Partei hat der Wähler gesucht wenn auch nicht unbedingt gefunden. Das macht die Bilanz der Gewinne und Verluste deutlich. Unter anderen Umständen hätten die regierenden Konservativen die von Affären gebeutelten Sozialdemokraten deutlich geschlagen. Schon beim Streik gegen Kanzler Schüssels Rentenreform aber war zu spüren, dass gerade konservative Wähler den Sozialstaat verteidigen wollen. Jetzt hat der Urnengang es bestätigt.“

In der „Financial Times Deutschland“ heißt es:
„Es bleibt als Ausweg nur die Große Koalition, mit der Österreich leidvolle Erfahrung hat. Schwarz-rote Dauerbündnisse führten zu Proporz und Filz, auch zum Erstarken der Haider-Partei. Dass Österreich als Reformland von sich reden gemacht hat, lag auch daran, dass eine kleine Koalition ohne den ganz großen Konsenszwang regierte. Damit ist es nun wieder vorbei.“

Der Bonner „General-Anzeiger“ schreibt:
„Nach einem Schmäh-Wahlkampf ohne Beispiel haben die Österreicher ihre Sehnsucht nach einer sozial abgefederten Reformpolitik mehr als deutlich gemacht und SPÖ und ÖVP mangels Alternativen zur politischen Zwangsehe verurteilt. Dies ist angesichts der unsicheren Entwicklung des Landes und dem erstarkenden rechten Rand kein Nachteil, auch wenn das deutsche Koalitionsbeispiel abschreckend wirkt. Aber Wien ist nicht Berlin. Unser Nachbarland hat mehr Erfahrung mit einem solchen Bündnis, es zählt zur Wiener Normalität.“

Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ kommentiert:
„Klar ist, dass die gespaltenen Rechtspopulisten deutlich gestärkt ins neue Parlament einziehen. Die Rechtspopulisten konnten nicht nur erschreckend viele Wähler für sich gewinnen, sie sorgten auch dafür, dass die beiden großen Parteien in der Ausländer- und Zuwanderungspolitik selbst dezent nach rechts rückten. So geht von der Wahl ein Abgrenzungssignal aus, das man nicht nur in Österreich, sondern in der gesamten EU als Warnung sehr ernst nehmen sollte. Bei allen derzeitigen Unsicherheiten ist ein Bündnis von SPÖ und ÖVP derzeit am wahrscheinlichsten. Es wäre allerdings vor allem rechnerisch gut, politisch hingegen fragwürdig. Denn der Fundus an Gemeinsamkeiten ist gering, aus großer Koalition könnte sehr rasch große Stagnation werden wie sie sich in Berlin andeutet.

In der „Thüringer Allgemeine“ heißt es:
Der Trend geht also wieder zurück zur alten Großen Koalition, die ab Mitte der Achtziger das Land regierte. Dass Kanzler Schüssel nochmals – wie im Jahr 2000 als Drittstärkster – mit den Rechtsaußen eine Mehrheit zusammenzimmert, ist nicht zu erwarten. Dafür brauchte er beide Parteien Haiders, die von ihm verlassene sowie die neue. Sie haben sich inzwischen aber derartig mit Schlamm beworfen, dass sie selbst der Machttrieb kaum mehr an einen Tisch bringen könnte. Dennoch fingen ihre ausländerfeindlichen Losungen wieder viel zu viele Stimmen ein. Da zeitgleich die benachbarte Schweiz eine radikale Einwanderungspolitik einschlug, wurden auch andere Parteien beängstigend knieweich.

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