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Diese - unbeachtete - Entwicklung kann dem IS das Genick brechen

Kurden - im Bild Peschmerga - setzen dem IS zu.
Kurden - im Bild Peschmerga - setzen dem IS zu. ©APA
Der IS gerät in die Defensive: Heuer verlor er 14 Prozent seines Territoriums, und vor ein paar Tagen überrannten irakische Streitkräfte seine Hochburg Ramadi. Doch den heftigsten Rückschlag erlitt er an einem anderen Frontabschnitt - fast unbeachtet von der Weltöffentlichkeit. Zu verdanken ist dies den Kurden, die einen militärischen Coup der Sonderklasse landeten.

Die Terrormiliz IS gerät unter Druck. Ihr Anführer Abu Bakr al-Baghdadi gibt zwar noch Durchhalteparolen aus, doch den Zenit hat sein “Kalifat” wohl schon überschritten. Aber noch ist der IS mächtig, und hält weite Gebiete im Irak und in Syrien. Eine neue dramatische Entwicklung – Schauplatz Nordsyrien – kann den Jihadisten nun richtig gefährlich werden. Und mehr und mehr zeigt sich, dass der wahre Wendepunkt im Kampf gegen den IS die verlorene Schlacht um Kobane war, wo der IS eine empfindliche Niederlage gegen die Kurden, die einen heroischen Abwehrkampf lieferten, einstecken musste.

Denn binnen kürzester Zeit eroberten die Kurden Nordsyrien von Kobane ausgehend in weiten Teilen, und schnitten den IS damit von wichtigen Versorgungsrouten ab. Nordsyrien wird ohnedies von den Kurden beansprucht, da dort eine zahlenmäßig starke kurdische Minderheit siedelt. Rojava – Westkurdistan – wird dieses Gebiet von den kurdischen Widerstandskämpfern genannt. Eines Tages soll dort ein demokratisches System entstehen.

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Wikipedia ©Wikipedia

Von dem Ziel, ihre Siedlungsgebiete (hier eine Übersichtskarte) zu vereinen, sind die Kurden aber noch ein Stück weit entfernt. Das Problem: Der Euphrat bildet eine natürliche Grenze zwischen ihren Siedlungsgebieten im Westen – und jenen im Osten. Während der Osten weitgehend konsolidiert ist, sind im Westen “Rojavas” mit der Ausnahme des Gebietes Afrins viele Gebiete unter der Herrschaft des IS. Das Gebiet ist allerdings von vitaler Bedeutung für die Terrormiliz, da dort Schmuggelrouten verlaufen, und Kämpfer – vor allem über Jarabulus – nach Syrien eindringen.

Die einzige Möglichkeit für die kurdischen Kämpfer, in ihre westlichen Gebiete vorzurücken, bestand in einem kühnen Unterfangen: Sie hätten den Tishrin-Staudamm erobern müssen, und mit ihm auch die Verkehrswege, die über den Euphrat führen – und das, ehe der IS Gegenmaßnahmen ergreift. Der Damm und das Gebiet west- wie ostseitig des Euphrat wurde aber vom IS gehalten. Auch für die Terrormiliz war der Damm von größtem Interesse, stellte er doch eine wichtige Nachschubroute des Islamischen Staats zwischen seiner Hochburg Raqqa und den vom IS kontrollierten Gebieten westlich des Euphrat dar. Die folgende Karte zeigt, wie sich die Situation noch vor wenigen Tagen darstellte:

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syria54 ©So stellte sich die Situation noch vor wenigen Tagen dar: Die einzige Möglichkeit für die Kurden (gehaltene Stellungen, Siedlungen und Städte gelb), zu dem Damm (Rot umrandet, Bildmitte)  zu gelangen, wäre eine Blitz-Offensive durch IS-Gebiet (schwarz) gewesen. Im Westen liegt das Gebiet um die Stadt Afrin – isoliert. Zu ihm wollen die Kurden aufschließen. Dies würde allerdings den IS von der Außenwelt “kappen”. Aber auch die “gemäßigten” Rebellen (grün) stünden vor Schwierigkeiten, da eine ihrer wichtigsten Nachschubrouten durch Azaz verläuft. Wikipedia

Ein Erfolg schien wenig wahrscheinlich. Deshalb erschien die überraschende Ankündigung der Kurden und mit ihnen verbündeter Streitkräfte, den Sturm auf den Tishrin-Damm zu wagen, gelinde gesagt als kühn. Aber der Coup sollte glücken. Binnen kürzester Zeit stürmten die Kurden die IS-Stellungen, und sicherten den Damm. Schließlich gelang es ihnen überzusetzen, und auf der anderen Uferseite erste Dörfer einzunehmen.

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Wikipedia ©Coup geglückt: Die Kurden haben das Westufer erreicht, und werden nun aller Wahrscheinlichkeit nach auf Manbij vorstoßen. Wikipedia

Damit gerät das Kalifat an seinem syrischen Nordrand ins wanken: Vermutlich werden die kurdischen Truppen von ihren neuen Stellungen aus einen Vorstoß auf die gemischt kurdisch-tscherkessisch-arabisch besiedelte Stadt Manbij wagen. Der dortige Emir des IS soll bereits via Jarabulus in die Türkei geflüchtet sein. Fällt Manbij, bricht auch das Schmuggel- und Versorgungsnetzwerk des IS in Nordsyrien weitgehend zusammen. Gelingt es den Kurden, weiter gen Westen vorzustoßen, wäre die “Isolierung” des IS vollendet. Nebeneffekt: Auch die “gemäßigten” Rebellen würden eine wichtige Versorgungsroute verlieren, was wiederum den Assad-Truppen nutzen würde.

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Wikipedia ©Abgeschnitten: Verliert der IS den “Norden”, ist er isoliert. Zwar gäbe es theoretisch noch “Kontakt” zu Jordanien – das Königreich ist aber für den IS “dicht”. Wikipedia

Video: Kurden setzen über Tishrin-Damm

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