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Die wichtigsten Neuerungen des Vertrages von Lissabon

Der Vertrag von Lissabon (ursprünglich: "Reformvertrag") spaltet Befürworter und Gegner der europäischen Integration. Tatsache ist, dass die EU mit dem Vertragswerk einen fast siebenjährigen Streit in der Europäischen Union um interne Reformen hinter sich bringt.

Die Hauptinhalte der gescheiterten Verfassung wurden großteils gerettet, die europäischen Symbole und der Name “Verfassung” aber gestrichen. Um 2009 in Kraft zu treten, muss der Vertrag in allen EU-Staaten bis Jahresende ratifiziert werden. 20 Länder stehen noch aus.

Zu den Demonstrationen gegen den EU-Reformvertrag, der am 9. April vom österreichischen Nationalrat ratifiziert werden soll, sagte der Grüne EU-Abgeordnete Johannes Voggenhuber, man solle “nicht Europas Zukunft in 27 Fetzen reißen”. Warum er gegen eine Volksabstimmung in einzelnen EU-Ländern sei, begründete Voggenhuber damit, dass man dann “27 nationale Debatten mit 27 Volksabstimmungen” haben würde, was bedeute, dass man “für die Zukunft Europas russisches Roulette spielen” würde.

Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Neuerungen des Reformvertrages:

Permanenter EU-Ratspräsident: Anstatt der derzeit halbjährlich wechselnden EU-Ratsvorsitzenden – den Regierungs- oder Staatschefs des jeweiligen Vorsitzlandes – wird ab 2009 ein fixer für zweieinhalb Jahre gewählter Präsident den Vorsitz bei Europäischen Räten und bei Gipfeltreffen mit Drittstaaten führen. Der Posten soll von einem ehemaligen Regierungschef besetzt werden. Damit soll die EU eine kontinuierlichere Außenvertretung als bisher bekommen. In den jeweiligen EU-Fachministerräten bleibt der Vorsitz beim jeweiligen Präsidentschaftsland, die halbjährlich rotierenden Ratsvorsitze sollen sich aber in Trio-Präsidentschaften besser koordinieren.

“Hoher Vertreter” für die Außen- und Sicherheitspolitik: Dieser soll ab 2009 die bisherigen Doppelgleisigkeiten zwischen dem EU-Außenbeauftragten des Rates (derzeit Javier Solana) und dem EU-Außenkommissar (derzeit Benita Ferrero-Waldner) beenden. Der “Hohe Vertreter” wird in Personalunion Generalsekretär des Rates und Vizepräsident der Kommission sein. Der Name “EU-Außenminister” wurde auf Druck Großbritanniens fallen gelassen.

Verkleinerte EU-Kommission: Ab 2014 werden nur noch zwei Drittel der EU-Staaten Kommissare in Brüssel stellen, anstatt wie bisher alle. Um eine gleiche Vertretung aller zu garantieren, muss die EU noch ein Rotationssystem festlegen.

Grundrechtecharta: Mit Ausnahme Großbritanniens und Polens wird der Text der Charta rechtsverbindlich. Diese garantiert den EU-Bürgern eine Reihe von einklagbaren Rechten wie etwa das Recht auf Leben, den Schutz personenbezogener Daten, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung. Die Grundrechtecharta soll die Europäische Menschenrechtskonvention ergänzen.

Mehrheitsentscheidungen: Die nationale Vetomöglichkeit entfällt ab 2009 in der EU-Innen- und Justizpolitik. Großbritannien kann selbst entscheiden, ob es bei solchen Entscheidungen mitmacht oder nicht.

Stimmgewichtung: Ab 2014 wird grundsätzlich das System der “doppelten Mehrheit” gelten, wonach für einen Mehrheitsbeschluss mindestens 55 Prozent der EU-Staaten zustimmen müssen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Auf Wunsch eines Staates kann das derzeitige System auch bis 2017 verlängert werden. Für eine Sperrminorität sind künftig fünf statt bisher vier Staaten erforderlich. Bei knapper Verfehlung der Sperrminorität können Beschlüsse wie schon bisher aufgeschoben werden.

“Gelbe Karte”: Nationale Parlamente können künftig Gesetzesvorschläge der EU-Kommission leichter zurückweisen, wenn Kompetenzen der EU-Staaten missachtet werden. Die Kommission muss den Entwurf dann rechtfertigen.

Energie und Klimaschutz: Beide Bereiche werden als neue Themen in den EU-Vertrag aufgenommen. Eine allgemeine Klausel zu Energiesolidarität wurde auf Forderung von Polen und Litauen verankert.

Solidaritätsklausel: Bei Terrorangriffen und Naturkatastrophen versichern sich die EU-Staaten gegenseitigen Beistand. Die Union mobilisiert dazu “alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel”.

Sicherheits- und Verteidigungspolitik/Neutralität: Eine Beistandsverpflichtung im Fall eines Angriffs auf einen EU-Staat ist auch im Kapitel zur gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik festgeschrieben. Die anderen Staaten schulden dem angegriffenen Mitglied demnach “alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung” im Einklang mit dem Recht auf Selbstverteidigung laut UNO-Charta. In Hinblick auf die Vorbehalte neutraler EU-Staaten heißt es auch: “Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.” Weiters wird ausdrücklich betont, dass die NATO für die Mitgliedstaaten der Allianz das Fundament der gemeinsamen Verteidigung ist. Ziel bleibt aber laut EU-Vertrag die “schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union. Diese führt zu einer gemeinsamen Verteidigung, sobald der Europäische Rat dies einstimmig beschlossen hat.” Die EU-Staaten verpflichten sich außerdem, “ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern”.

(Eine konsolidierte Fassung des Reformvertrags im Internet: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/cg00014.de07.pdf )

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