AA

Die wichtigste Wahl seit Jahrzehnten

In einem sind sich US-Präsident George W. Bush, sein demokratischer Kontrahent John Kerry und die große Mehrheit der Amerikaner einig: die Entscheidung am Dienstag ist die wichtigste Wahl in den USA seit Jahrzehnten.

Die US-Gesellschaft ist tief gespalten, viele sprechen von einem Kulturkampf.

Der unabhängige Kandidat Ralph Nader prangert wohl zu Recht an, dass es bei der Entscheidung zwischen Bush und Kerry nur um die Wahl zwischen zwei Repräsentanten des amerikanischen Establishments geht. Beide sind Kinder reicher Ostküsten-Familien, beide studierten an der Elite-Universität Yale, beide sind Mitglieder in der Geheimgesellschaft „Skull & Bones“ – und vor allem haben beide enge Beziehungen zu den US-Konzernen.

Dennoch repräsentieren Bush und Kerry in einer seltenen Schärfe die beide Teile der US-Gesellschaft: Bush steht für das konservative, ländliche, religiös-geprägte Amerika, das für die Todesstrafe und das Recht auf privaten Waffenbesitz ist, das Schwulenehe, Abtreibungen und Stammzellenforschung ablehnt. Kerry hat das liberale Amerika und besonders viele Intellektuelle und Künstler auf seiner Seite, die daran glauben, dass Freiheitsrechte und Wissenschaft nicht eingeschränkt werden dürften, dass Minderheiten – auch sexuelle – besonders geschützt werden müssen. Und sie vertrauen nicht allein der Selbstverantwortung des Menschen in einer freien Gesellschaft, sondern wollen, dass der Staat sich der Schwachen und Armen besonders annimmt.

Diese Gegensätze sind nicht unbedingt neu zwischen Demokraten und Republikanern. Aber die umstrittene Persönlichkeit von Bush, der Kampf gegen den Terrorismus und der Irakkrieg haben die Unterschiede verstärkt und zu einer tiefen Polarisierung der Gesellschaft geführt. Viele Amerikaner verbergen kaum ihren Widerwillen gegen Bush, halten ihn für einen plumpen, schlichten Mann, der die USA in die weltweite Isolation geführt hat und den Interessen der Konzerne und Superreichen ausliefert.

Allerdings folgt noch immer ein erheblicher Teil der US-Bürger Bush in seiner Argumentation, dass der Kampf gegen den Terrorismus und der Irakkrieg eng miteinander verbunden seien, dass die USA sich in einem unerklärten „vierten Weltkrieg“ gegen sich weiter radialisierende Islamisten befinden.

Kerry verspricht, mit neuen Allianzen und neuen Wege den Terrorismus zu besiegen, den weltweiten Hass auf die USA wieder zurückzudrängen. Er will verprellte Verbündete wie Deutschland und Frankreich bei der Befriedung des Nahen Ostens stärker einbinden und damit auch die Lasten für die USA mindern. Kerry will den Irakkrieg intelligent und „erfolgreich“ beenden.

Diese Kontroversen haben zu dem teuersten Kampf um das Weiße Haus in der Geschichte der USA geführt. Über eine Milliarde Dollar (800 Millionen Euro) wurden in dem erbittert geführten Marathon-Wahlkampf ausgegeben. Der Wahlkampf war geprägt von einem Ringen um Glaubwürdigkeit, oder besser gesagt, vor allem um die Vernichtung der Reputation des politischen Gegners. Dabei war Bush lange erstaunlich erfolgreich – trotz der Abwesenheit von Massenvernichtungswaffen im Irak, trotz des andauernden Blutvergießens im Irak, trotz der schrecklichen Bilder aus dem US-Militärgefängnis Abu Ghoreib.

Kurz vor dem Wahltag sah es so aus, als ob es doch nicht für Bush reichen würde. Viele Amerikaner hoffen wie nicht wenige weltweit, dass mit einem Präsidenten Kerry eine neue Ära der US-Politik beginnen werde – es gibt allerdings eine Fülle mahnender Stimmen, die davor warnen, bei einem Sieg Kerrys an eine gravierende Änderung der US-Politik in der Welt zu glauben.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • Die wichtigste Wahl seit Jahrzehnten
  • Kommentare
    Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.