"Die Theorie von Allem": Idee einses Multiversums

Der deutsche Filmemacher Timm Kröger hantiert in "Die Theorie von Allem" nicht nur lustvoll mit der Idee eines Multiversums, sondern liefert darüber hinaus eine gelungene Hommage an Hitchcock und Co ab. Am Freitag läuft der diesjährige Venedig-Wettbewerbskandidat im Kino an.
"Die Theorie von Allem": Idee einses Multiversums
Johannes Leinert (Jan Bülow) kann einem leidtun: In einem Hamburger Fernsehstudio Mitte der 1970er-Jahre ist er zwar als Gast geladen, ernst genommen wird er hier aber nicht. Zu fantastisch scheint sein Roman "Die Theorie von Allem", in dem er von einem geheimnisvollen Physiker-Kongress in den Schweizer Bergen erzählt. Ungeklärte Todesfälle stehen darin ebenso an der Tagesordnung wie obskure Typen mit finsterem Blick. Science-Fiction? Nicht, wenn es nach Leinert geht. "Das ist keine Geschichte", versucht er zu bekräftigen, bevor er zornig den Raum verlässt. Kurz hält er innen und wendet sich an die Kamera: "Karin, bitte melde dich!"
Effektvoller Auftakt
Nach diesem knappen wie effektvollen Auftakt, der als einziger Abschnitt in Farbe gehalten ist, blickt Regisseur und Drehbuchautor Kröger zurück. Zwölf Jahre zuvor verschlug es den jungen Doktoranden Leinert mit seinem mürrischen Professor Dr. Strathen (Hanns Zischler) zu eben jenem Kongress, bei dem ein renommierter Wissenschafter einen Vortrag zu Quantenmechanik halten sollte. Nur: Dazu wird es nicht kommen. Stattdessen begegnet Johannes einer mysteriöse Frau (Olivia Ross), die ungeahnte Details aus seinem Leben errät. Sogar seine Träume sind ihr vertraut - oder doch nicht? Immer wieder sind es kleine Ungereimtheiten, die Johannes aus der Bahn zu werfen drohen.
Polizisten, die wie Karikaturen scheinen
Währenddessen versucht er weiter an seiner Doktorarbeit zu feilen, die von Strathen als "mathematische Esoterik" abgetan wird. Deutlich offner zeigt sich hingegen dessen leicht zerstreuter Kollege Blumberg (Gottfried Breitfuss), der öfters mal tiefer ins Glas blickt. Vornehme Contenance ist bei diesem Kongress nicht unbedingt angesagt, stattdessen scheinen sich die Geschehnisse in Graubünden bald zu verselbstständigen. Briefe werden unter Türen durchgeschoben, Männer mit vernarbtem Gesicht beäugen kritisch eigenartige Wolkenformationen, und nach dem Fund eines ersten Toten bekommt es Johannes mit zwei Polizisten zu tun, die zwar wie Karikaturen scheinen, sich aber nicht so leicht abschütteln lassen.
Österreichische Koproduktion
Kröger versteht es in dieser österreichischen Koproduktion blendend, eine spannungsgeladene Stimmung zu erzeugen, wobei die Verbeugung vor dem klassischen Thriller ziemlich offensichtlich daher kommt. Das reicht von der Wahl der Überblendungen über die dauerpräsente Musik bis zu den starken Kontrasten, die die Schwarz-Weiß-Bilder bestimmen. Neben Hitchcock muss man wohl zwangsläufig auch Orson Welles nennen, allerdings sind auch Agentenabenteuer aus dem Hause 007 nicht weit (die Skiabfahrt von Johannes wäre wohl auch Sean Connery gut zu Gesicht gestanden, wenn nur der Ausgang ein anderer gewesen wäre).
Zeitgeschichtliche Note in Myseryabenteuer
Johannes beginnt, immer tiefer zu graben und stößt schlussendlich auf ein Tunnelsystem, das die Antwort bereithalten könnte. Zudem erhält das Mysteryabenteuer eine zeitgeschichtliche Note, wenn die Frage von Verantwortung und Mitläufertum im Nazideutschland angerissen wird. Wer spätestens jetzt auf Klarheit hofft, wird allerdings enttäuscht - jedenfalls in dieser Hinsicht. Es wäre durchaus spannend gewesen, manchen Handlungsstrang noch weiter ausgebaut zu sehen. Ein Manko sind diese Leerstellen allerdings nicht, gelingt es Kröger doch mit seinem hervorragenden Ensemble, die Figuren so glaubhaft zu gestalten, dass man sich ihre Hintergründe gerne im eigenen Kopf weiter zusammenreimt. Diese "Theorie von Allem" mag zwar nicht alles erklären, entwickelt aber genau deshalb einen Sog, in dem man sich verlieren kann.
(APA/Red)