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Deutschland: "Kohl schon überholt"

Auf die Rolle der deutschen Kanzlerin in Europa angesprochen, kamen EU-Veteranen auf dem am Freitag beendeten Frühjahrgipfel rasch auf einen Nenner.

„Angela Merkel hat schon jetzt den Rang, den einst Helmut Kohl eingenommen hat“, bemerkte ein hochrangiges Mitglied des Europaparlaments. Ein deutscher Politiker, der schon einige Kanzler kommen und gehen gesehen hat, ging sogar noch darüber hinaus. „Sie hat Kohl schon überholt.“ Sie sei einfach besser im Stoff.

Nach ihrem ersten Gipfel im Dezember hatte noch in allen EU-Mitgliedsländern Erstaunen geherrscht, als es Merkel gelungen war, den Knoten in den festgefahrenen Verhandlungen über die EU-Finanzen zu durchschlagen. Die Deutsche wurde allgemein zum „Star“ des Gipfels ausgerufen.

Drei Monate später auf dem nächsten Treffen war die Führungsrolle der Kanzlerin in Europa bereits allgemein akzeptiert, obwohl sie mit gut 120 Tagen im Amt eigentlich noch den Part einer Debütantin spielen müsste. Besonders augenfällig war dies beim vorbereitenden Meeting der Vorsitzenden der konservativen und christlich orientierten Parteien, wo oft so manche Vorentscheidung für den anschließenden eigentlichen Gipfel fällt. Merkel wurde unmittelbar neben EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso platziert.

Und es passte ins Bild, dass EU-Ratspräsident Wolfgang Schüssel Merkel gebeten hatte, beim Abendessen in das heikelste Thema des Gipfels – die künftige EU-Energiepolitk – einzuführen. Und prompt gab es im Anschluss dann auch wieder Lob für die Kanzlerin von österreichischer Seite.

Es war kein Gipfel, der die EU bewegte. Es war mehr europäischer Arbeitsalltag, der sich in zwei Tagen in dem Brüssler Ratsgebäude abspielte. Die Behandlung des Themas Energie war aber irgendwie typisch für den Zustand der Union. Einig war man sich, dass die Energieversorgung Europas durchaus gefährdet ist. Die öl-produzierenden Länder sind unsichere Kantonisten. Zuviel will man sich auch nicht von Russland abhängig machen. Und in der EU versuchen Länder wie Frankreich und Spanien ihre heimischen Energieunternehmen – entgegen dem Gedanken des freien Binnenmarkts – vor Übernahmen aus dem Ausland zu schützen.

Merkel blieb ihrer außenpolitischen Linie treu, auch Freunden einmal – freundlich, aber bestimmt – die Meinung mitzuteilen, wenn sie dies für notwendig hält. Generell ist sie der Auffassung, dass es am Ende nicht hilfreich ist, auch in der Außenpolitik Unterschiede unter den Tisch zu kehren.

Ihren Mahnung, man müsse sich in Europa auch mit Übernahmen von Energieunternehmen anfreunden („mit europäischen Champions abfinden“), war auf Frankreichs Staatspräsident Jaques Chirac und Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodróguez Zapatero gemünzt. Sie nannte die beiden Herren zwar nicht, jeder aber wusste, wer gemeint war.

Ganz im Stil eines gewieften Europapolitikers beließ sie es aber dann bei dieser Erklärung und vertiefte das Thema in der Runde nicht. „Der deutsch-französische Zusammenhalt ist absolut perfekt“, konnte dann Chirac nach Ende der Veranstaltung sagen. Merkel, so berichtete der Franzose, sei „entsetzt“ über Medienberichte gewesen, wonach sie Frankreichs Versuche kritisiert habe, die Übernahme des Energiekonzerns Suez durch die italienische ENEL zu verhindern. Freilich schaute Merkel eher verschmitzt denn betroffen aus, als sie im Anschluss noch einmal auf die Aussagen und die Reaktionen der Kollegen angesprochen wurde.

Merkel ist auch deshalb die Hoffnungsträgerin in Europa, weil die Staats- und Regierungschefs der anderen großen Länder gelähmt sind. Chirac ist nicht mehr allzu lange im Amt. Der britische Premierminister Tony Blair hat wachsende innenpolitische Probleme. Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi bangt kurz vor der Wahl um sein Amt.

Die EU funktioniert, aber eher schlecht als recht. Dieser Zustand wird aber so lange anhalten, wie nicht geklärt ist, wie es mit dem auf Eis liegenden Verfassungsvertrag weiter geht und sich die Union nicht im Klaren ist, wie weit sie noch wachsen soll. Und die Hoffnungen, hier voran zu kommen, ruhen eindeutig auf der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 und damit auf der Kanzlerin.

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