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Deutschland: EU-Haftbefehl ist verfassungswidrig

Mutmaßliche Straftäter mit deutschem Pass dürfen vorerst nicht mehr ans Ausland ausgeliefert werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat das deutsche Gesetz zum Europäischen Haftbefehl für nichtig erklärt.

Damit muss der Gesetzgeber ein neues Gesetz erlassen, um den EU-Haftbefehl in deutsches Recht umsetzen zu können. Das Karlsruher Höchstgericht gab der Verfassungsbeschwerde des unter Terrorverdacht stehenden Deutsch-Syrers Mamoun Darkazanli statt, der nach Spanien ausgeliefert werden sollte. Darkazanli kann nun mit seiner umgehenden Freilassung durch die Hamburger Justizbehörden rechnen.

Die EU-Kommission hat Deutschland aufgerufen, so rasch wie möglich ein neues Gesetz zum EU-Haftbefehl auf den Weg zu bringen. Die Kommission reagierte am Montag in Brüssel auf das Erkenntnis des deutschen Verfassungsgerichts. Ein Sprecher der Kommission sagte, dass das Urteil „die Gültigkeit des Rahmens für alle 25 Mitgliedstaaten“ bestätige. „Das Urteil unterstreicht die Verantwortung der Mitgliedstaaten und der jeweiligen Parlamente“, sagte er. „Wir appellieren an Deutschland , so schnell wie möglich die Mängel des Gesetzes zu beseitigen.“

Die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat das Urteil des Verfassungsgerichtes als Rückschlag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus bezeichnet und eine schnelle Gesetzesänderung angekündigt. Ein neues Gesetz zum EU-Haftbefehl solle binnen vier bis sechs Wochen vorgelegt werden. Das Urteil habe außerdem zur Folge, dass das Auslieferungsverfahren weiterhin bürokratisiert werde. Es sei jedoch kein Rückschlag für die Integration Deutschlands in der EU, da das Gericht die Auslieferung Deutscher an sich gebilligt habe.

In Österreich werden die Bestimmungen des EU-Haftbefehls frühestens 2009 zur Anwendung kommen, wie ein Vertreter des Justizministeriums in Wien am Montag im Mittagsjournal des ORF-Radios betonte. Die Auslieferung österreichischer Staatsangehöriger an andere EU-Staaten sei höchst unwahrscheinlich, weil sie nur dann in Frage komme, wenn die Tat nicht in Österreich begangen wurde und in Österreich nicht strafbar ist.

Deutschland hatte mit dem vereinfachten Auslieferungsverfahren im August 2004 erstmals die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an EU-Staaten ermöglicht. Nach dem Urteil des Zweiten Senats des verfassungsgerichts hat der Gesetzgeber jedoch zu wenig Vorkehrungen für den Schutz der Grundrechte deutscher Tatverdächtiger getroffen. Der EU-Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl aus dem Jahr 2002, auf den das Gesetz zurückgeht, lasse dafür genügend Spielraum. Den EU-Rahmenbeschluss selbst ließ das Höchstgericht unbeanstandet.

Nach Auffassung der Richter scheidet nach Artikel 16 des Grundgesetzes die Auslieferung eines Deutschen grundsätzlich aus, wenn er eine Straftat auf deutschem Boden begangen hat und dafür – etwa, weil das Opfer Ausländer war – von einem anderen EU-Staat verfolgt wird. Bei Taten mit „maßgeblichem Auslandsbezug“ könnten dagegen – ein neues Gesetz vorausgesetzt – auch Verdächtige mit deutschem Pass an die Justizbehörden anderer Länder überstellt werden. Wer in einer anderen Rechtsordnung handle, müsse damit rechnen, dort zur Verantwortung gezogen zu werden. Ein solcher Auslandsbezug liege auch bei grenzüberschreitender Kriminalität vor, wie etwa beim internationalen Terrorismus oder beim organisierten Drogen- oder Menschenhandel.

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