Führende CDU-Politiker rücken nun von der geplanten großen Steuerreform ab. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle hat bereits eine Abkehr von den Steuersenkungsplänen angedeutet, die das Hauptprojekt seiner Partei für die Legislaturperiode gewesen sind. Die SPD will ihre neue Blockademacht in der Länderkammer dazu nutzen, umstrittene Vorhaben wie Steuersenkungen, eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen sowie die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke zu verhindern.
Die NRW-Wahl sei eine “klassische Denkzettelwahl” für die Koalition in Berlin gewesen, erklärte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. “So können wir jedenfalls nicht weitermachen wie in den letzten Monaten”, warnte er im Deutschlandradio Kultur. Die mit der FDP vereinbarte Steuerreform müsse ausgesetzt werden, da sie aufgrund der dramatischen Situation in den öffentlichen Haushalten derzeit nicht zu realisieren sei. Auch wenn Entlastungen noch so wünschenswert seien, bestehe “die Möglichkeit für Steuersenkungen in dieser Legislaturperiode nicht”, sagte der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) am Montag in Berlin vor Beginn einer CDU-Präsidiumssitzung. Mehrere Präsidiumsmitglieder plädierten für die Bildung einer Großen Koalition in Düsseldorf.
Westerwelle erklärte auf einer Pressekonferenz mit CDU-Chefin Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Rettungspaket für den Euro, auch die FDP wisse, dass sich die Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer verändert hätten, “das ist doch ganz offensichtlich.” Mutmaßungen über eine Kabinettsumbildung in Berlin wurden unterdessen zurückgewiesen. Innerhalb der schwarz-gelben Koalition machten sich Irritationen bemerkbar. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) warf der CDU in Nordrhein-Westfalen vor, sie trage mit ihrem “Flirt” mit den Grünen eine Mitschuld an der Wahlniederlage. “Wenn jemand von vornherein mit Schwarz-Grün liebäugelt und Staat vor Privat setzt, muss er sich nicht wundern, dass er bürgerliche Wähler nicht mehr anspricht”, so Niebel. Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff warf dem NRW-Wahlverlierer, CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers, einen unklaren Kurs im Wahlkampf vor. Während sich die FDP ganz klar zur Fortführung der bürgerlichen Koalition bekannt habe, habe sich die Union von diesem Ziel verabschiedet, sagte Lambsdorff dem Deutschlandradio.
Die SPD in Nordrhein-Westfalen beansprucht die Regierungsführung für ihre Spitzenkandidatin Hannelore Kraft. “Wir haben den Auftrag, die Regierung zu bilden”, sagte Kraft am Montag. Sie ließ offen, welche Koalition sie anstrebt. Rückendeckung erhielt sie von Parteichef Sigmar Gabriel, der ihr in Berlin gratulierte. “Das Wahlergebnis muss dazu führen, dass Du Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen wirst”, sagte er.
Die CDU beansprucht ihrerseits die Regierungsführung. Die von Rüttgers geführte CDU war bei der Wahl am Sonntag auf 34,6 Prozent abgestürzt und erreichte damit ein minimal besseres Ergebnis als die SPD mit 34,5 Prozent. Rüttgers sprach sich für eine Große Koalition in NRW aus. “Nordrhein-Westfalen braucht eine stabile Regierung”, sagte er. “Wenn es eine Große Koalition gibt, dann auf jeden Fall ohne Rüttgers”, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Hubertus Heil, dem Düsseldorfer “Handelsblatt” (Dienstag). “Das System Rüttgers ist am Ende”, sagte Heil.