Nach dem tragischen Tod des 3-jährigen Cain nur nach Schuldigen zu suchen und diese ausnahmlos an der Jugendwohlfahrt festzumachen, ist keine Lösung. Dies wurde bei der gestrigen Diskussionsveranstaltung im Medienhaus in Schwarzach deutlich. Die Verantwortung trägt in erster Linie der Täter, stellte Gerichtspsychiater Primar Dr. Reinhard Haller klar. Was die Gesellschaft aber nicht entlaste. Es gilt ein Klima zu erzeugen, in dem Kinder keiner Gewalt mehr ausgesetzt sind, so Haller. Und: Wenn wir genauer hinschauen, besteht eine gewisse Chance, dass vieles besser wird. Gänzlich verhindern lassen sich solche Familiendramen seiner Ansicht nach aber nicht.
Mehr Hilfen gefordert
Auch Kinder- und Jugendanwalt Michael Rauch machte deutlich, dass der Kinderschutz nicht einzig und allein an die Jugendwohlfahrt abgegeben werden kann. Es brauche verschiedene und mehr Hilfen sowie ein Netz von guten Betreuungseinrichtungen und Präventionsmaßnahmen für gefährdete Familien. Vor allem alleinerziehende Mütter tragen ein hohes Risiko, an ihren Anforderungen zu zerbrechen. Was sich in der Folge meist auch negativ auf das Umfeld auswirkt. Tanja Kopf, Leiterin der IfS-Frauennotwohnung fordert ebenfalls mehr Schutz für Gewaltbetroffene. Wir unterstützen die Frauen bei dem, was sie wollen, bekräftigte Kopf.
Doch Interventionen von Behörden sind eine Gratwanderung. Das bestätigte der Bürgermeister von Bizau, Josef Moosbrugger. Es ist schwer, aus unvollständigen Informationen die richtigen Schritte abzuleiten und das rechte Maß des Notwendigen zu finden. Christoph Jochum, Geschäftsführer von schwanger.li, berichtete von einem ähnlichen Dilemma. Im Rahmen der Schwangerschaftskonfliktberatung seien die Mitarbeiterinnen oft mit einer möglichen Kindeswohlgefährdung konfrontiert. Eine Meldung an die Behörde würde die Frau jedoch als Vertrauensbruch empfinden, verwies Jochum auf die in solchen Situationen ohnehin schon fragile Beziehung. In schwierigen Fällen behelfen sich die Beraterinnen und Berater, indem sie das Gespräch mit Fachleuten suchen. Diese Möglichkeit legte Christoph Jochum auch Privatpersonen nahe, die sich nicht sicher sind, ob sie Mitteilung machen sollen.
System von Anlaufstellen
Obwohl der Kinderschutz zentrale Aufgabe der Jugendwohlfahrt ist, wurde in Vorarlberg bewusst ein System mit mehreren Anlaufstellen eingerichtet, wo vermutete Misshandlungen in Familien gemeldet werden können. Es sind laut Michael Rauch vorrangig Fachpersonen, aber auch Nachbarn sowie Kinder und Jugendliche selbst, die sich mit ihren Beobachtungen an diese Einrichtungen wenden. Allein im vergangenen Jahr hatte die Jugendwohlfahrt rund 1000 neue Abklärungen durchzuführen. Insgesamt waren es etwa 2000 Fälle, die es zu bearbeiten galt. Der Leiter der Jugendwohlfahrt, Dr. Werner Grabher, schloss nicht aus, dass es Fälle gibt, in denen die Behörde nicht reagiert. Das sei dann ein Fehler, räumte er offen ein. Andererseits entstehe häufig der Eindruck, die Jugendwohlfahrt unternehme nichts, obwohl die Meldung bearbeitet werde. Der Grund dafür: Es dürfen aufgrund des Datenschutzes keine Rückmeldungen erfolgen. Auch die Jugendwohlfahrt befinde sich im Spannungsfeld von zu schnell, zu früh oder zu viel.
Personal nur ein Ansatz
Dass es allein am Personalmangel liegt, wenn die Jugendwohlfahrt ihren Aufgaben nicht umfänglich nachkommen kann, wollte Grabher so nicht stehen lassen. Die Personalausstattung ist ein wichtiger Ansatz, jedoch nicht der einzige. Im letzten Jahr seien umfangreiche Analysen unter anderem auch der organisatorischen Abläufe durchgeführt und Empfehlungen dazu ausgearbeitet worden. Mit der Umsetzung wurde begonnen. Was den Fall des getöteten Kindes anlangt, untermauerte Grabher die bisher getätigen Aussagen, wonach es keinerlei Hinweise auf eine Gefährdung der Kinder und der Mutter gegeben habe. Allerdings führten die tragischen Ereignisse zur Erkenntnis, dass wir nicht immer in der Lage sind, Risiken zu erkennen und zu stoppen. Insgesamt sieht Werner Grabher das System jedoch gut ausgebaut und imstande, in vielen Fällen rechtzeitig zu intervenieren.
Das größte Problem aus seiner Sicht: Wir verfügen immer nur über Teilinformationen, müssen aber schon Entscheidungen treffen. In diesem Zusammenhang wollte er mit dem Vorurteil aufgeräumt wissen, die Jugendwohlfahrt gehe hin und nehme den Eltern das Kind weg. 95 Prozent aller Maßnahmen zum Kindeswohl werden gemeinsam mit den Eltern getroffen, betonte Werner Graber. Hannes Hausbichler sprach für jene Väter, die keine Verantwortung für ihre Kinder übernehmen dürfen, weil es die Mütter verhindern. Wir können unsere Kinder gar nicht beschützen, rief er leidenschaftlich in die Runde. Michael Rauch gab den Besuchern den größten Wunsch der Kinder mit auf den Heimweg: Sie wünschen sich nichts mehr, als dass sie keine Gewalt erfahren müssen. Eine deutliche Botschaft.
Primar Dr. Haller in der VN-Diskussionsrunde
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