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"Der jüngste Tag" im Theater an der Josefstadt: Schwache Inszenierung

Ein rechter Skandal sind diese ewigen Verspätungen, ereifern sich die vor dem Bahnhof wartenden Reisenden zu Beginn von Ödön von Horvaths Schauspiel "Der jüngste Tag". Schuld daran seien "Rationalisierungen" und "elende Schlamperei", heißt es.

Auch die Inszenierung des Stücks, die Philip Tiedemann gestern, Donnerstag, Abend im Theater in der Josefstadt auf Schiene gestellt hat, ist ein rechter Bummelzug. Sie benötigt für das nicht eben übermäßig lange Stück zweieinhalb Stunden und erreicht dennoch ihr Ziel nicht wirklich.

Bei Horvath stößt der Eilzug 405, dem kein Haltesignal gegeben wurde, mit einem Güterzug zusammen. Die Folge sind 18 Tote, eine Menge Seelenqualen und Schuldzuweisungen und schließlich das Zerbrechen weiterer Leben. Das Risiko einer Karambolage will der Regisseur, so scheint es, keinesfalls eingehen. Daher nimmt er es mit der berühmten Horvath’schen Stille, mit dem sichtbar gemachten Vordenken und Nachhören einzelner Sätze, überaus genau und reduziert die Geschwindigkeit auf Schritttempo. Das Stück kommt so allerdings kaum vom Fleck. Und droht dennoch beinahe zu entgleisen.

Denn Tiedemann, der mit seiner Inszenierung von “Das Fest” der Josefstadt in der vergangenen Saison einen großen Erfolg beschert hatte, stilisiert Figuren und formalisiert Abläufe. Der Stationsvorstand Thomas Hudetz, ein stattlicher Mann, den seine unglückliche Ehe quasi in die innere Emigration getrieben hat, wird gleich zu Beginn mit absurden Dienst-Ritualen als aufgezogener Spielautomat eingeführt, die ganze harmlos-bunte Ästhetik der Ausstattung (Bühne: Etienne Pluss, Kostüme: Stephan von Wedel), in der ein wechselndes Rot/Grün-Signal dauerpräsent ist, erinnert an eine Spielzeugeisenbahn. Wenn da einmal ein Haltesignal nicht gestellt wird (warum fahren an diesem Abend eigentlich die Züge offenbar stets nur in eine Richtung?), gibt es halt einen Unfall – doch wer erinnert sich nicht daran, dass kleine Zugsunglücke den Reiz des Spiels meist nur vergrößerten.

Doch bei Horvath geht es eben nicht um kindlichen Nervenkitzel, sondern um die wirkliche Katastrophe, um Leichen und Leid. Auch das Leben des vertrocknet wirkenden Stationsvorstands und der lebenslustigen Wirtstochter Anna, die Hudetz für einen alles entscheidenden Moment mit einem verwirrenden Kuss ablenkt, ist fortan zerstört. Während Tiedemann für den Unfall eine schöne, unpathetische Bühnenlösung findet, wirkt das ganze Treiben der Figuren rund um das von August Zirner und Maria Köstlinger deutlich herausgearbeitete Gegensatzpaar Hudetz/Anna harmlos, übersteigert, puppenhaft – von der hysterischen Frau Hudetz der Marianne Nentwich über den schnarrenden Wirten des Alexander Waechter bis zu dem von Martin Bretschneider gespielten, leicht beschränkten Bräutigam Annas.

Der Abend wird immer langatmiger und spannungsloser, und auch die schwierigen metaphysischen Szenen am Ende wirken nebulos. Tiedemann bleibt der Trost, dass auch sein Kollege Peter Payer mit seiner jüngst angelaufenen Verfilmung des Stücks (“Freigesprochen”) mit ganz anderen Mitteln nicht wirklich überzeugen konnte. Der Applaus des Premierenpublikums wirkte jedenfalls wohlwollend, doch nicht eben enthusiastisch.

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