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Der ganz normale Wahnsinn

170 Mörder hat Primar Dr. Reinhard Haller in seiner fast dreißigjährigen Karriere als Sachverständiger bisher begutachtet - macht im Schnitt immerhin pro Jahr etwa fünf.

Unter Hallers Klienten sind die spektakulärsten Verbrecher der neueren österreichischen Kriminalgeschichte, wie der Bombenbauer Franz Fuchs oder der Prostituiertenmörder Jack Unterweger. „Der herausforderndste Fall für mich war zweifelsohne das Bombenhirn Franz Fuchs“, schildert Haller, „dieser Mensch passt sicher in das Klischee vom genialen Verbrecher. Mit einem Intelligenzquotienten von 149 hätte aus dem auch ein Nobelpreisträger werden können.“

Warum Fuchs nicht diesen Lebensweg einschlug, sondern stattdessen Menschen mit Briefbomben töten wollte, war Gegenstand von Hallers sechs Monate dauernden Untersuchungen. „Jeder große Straftäter ist auch ein guter Psychologe“, sagt Haller. Wer ein ausgeklügeltes Verbrechen begehe, der versuche später auch, den Gerichtsgutachter zu seinem Vorteil zu nützen und ihn zu beeinflussen. Objektivität sei auch dadurch zu erreichen, dass man dem Täter mit Respekt gegenübertritt und ihn nicht unterschätzt. Generell würden Verbrecher nach außen meist erschreckend normal wirken, sagt Haller – die jahrzehntelange Erfahrung als Psychiater hilft dabei, die kriminelle Seele freizulegen.

Die Arbeit als gerichtlicher Gutachter ist für den 54-jährigen gebürtigen Mellauer ein Hobby, das zum Beruf geworden ist. „Mir macht meine Arbeit so viel Spaß, dass man sie eigentlich gar nicht als Arbeit bezeichnen kann.“

Länger als geplant

Hallers Herz gilt jedoch der Stiftung Maria Ebene, deren Krankenhaus er seit 23 Jahren als Chefarzt leitet. 37.000 Menschen wurden in Maria Ebene seit der Gründung wegen Suchtkrankheiten behandelt, dieses Jahr feiert man 30-jähriges Bestehen. „Eigentlich wollte ich das damals nur fünf Jahre machen, aber nun sind es doch ein paar mehr geworden“, lacht der Primar. Zu den klassischen Fällen wie Alkoholismus und Drogensucht, die in Maria Ebene behandelt werden, kommen auch immer mehr Behandlungen wegen Depressionen, Burn-Out-Syndromen und anderen stressbedingten Zivilisationskrankheiten. „Diese Erkrankungen nehmen zu, dass beobachten wir hier täglich“, so Haller.

Der dreifache Familienvater selbst scheint mit dem Stress gut zurechtzukommen, schreibt nebenher sogar noch Bücher, hält Vorträge und ist Drogenbeauftragter der Landesregierung. Die Kraft nimmt er aus seiner wichtigsten Charaktereigenschaft: „Ich bin ein neugieriger Mensch, das war ich schon immer.“

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