AA

Das Ende des Frühlings: Islamisten richten in Tunesien Blutbad an

Terroranschlag auf Museum in Tunis fordert 19 Tote und Dutzende Verletzte.
Terroranschlag auf Museum in Tunis fordert 19 Tote und Dutzende Verletzte. ©EPA
Tunesien galt als Musterland des Arabischen Frühlings - nun hat ein blutiger Anschlag die einzige aus den Aufständen von 2011 erwachsene Demokratie erschüttert. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Parlament, dem Sitz der Demokratie, werden Touristen Ziel eines Anschlags. Tunesien, das vom Tourismus lebt, wird damit bis in Mark und Bein getroffen. Das Land trauert und kündigt einen "gnadenlosen" Kampf gegen den Terrorismus an.

Am Anfang twittert die Parlamentsabgeordnete Sayida Ounissi von einer “großen Panik” – ein Bewaffneter treibe sich vor dem Parlament herum. Nur wenige Minuten später wird klar, dass dies den Auftakt zum bislang schlimmsten Terrorangriff in Tunesien seit dem Arabischen Frühling bildet.

“Plötzlich hörten wir Schüsse und eine kleine Statue fiel um. Alle schrien, wir versteckten uns in einem Pavillon, dann brachte uns die Polizei in Sicherheit”, berichtet eine Musseumsbesucherin aus Frankreich noch sichtlich unter Schock. Die Touristin besichtigte am Mittwoch gerade das Bardo-Nationalmuseum in Tunesiens Hauptstadt, als zwei Angreifer mit ihren Kalaschnikows ein Blutbad unter den Besuchern anrichteten.

Terror gegen Touristen: Museumsbesuch wird zum Albtraum

Mindestens zwei Angreifer, in Militäruniformen gekleidet, stürmen am Mittwoch den Platz zwischen dem Parlament und dem tunesischen Nationalmuseum Bardo. Sie eröffneten das Feuer auf die Touristen, während diese aus ihren Bussen stiegen, und jagten ihnen dann in das Innere des Gebäudes hinterher. Dieses liegt direkt neben dem Parlament, dann verbarrikadieren sie sich mit mehreren Geiseln im Bardo-Museum.

Mehreren Touristen gelingt die Flucht durch die Hintertür.” Sie hätten im benachbarten Parlament Einlass gefunden, berichtete sie weiter.

Zeitgleich Anhörung über Tunesiens Antiterror-Gesetz

Auch dort herrschte inzwischen Panik, berichtete die Abgeordnete Sayidab Ounissi. Demnach fand gerade eine Anhörung über Tunesiens Antiterror-Gesetz statt, als die ersten Schüsse fielen. Die Beratung wurde unterbrochen und die Abgeordneten aufgefordert, sich in der Versammlungshalle einzufinden. Sie wussten nicht, was vor sich ging.

Blutbad in Museum fordert 19 Menschenleben

Am Ende sind nach offiziellen Angaben 19 Menschen tot (die Zahl der Toten wurde nach unten korrigiert; Anm.), darunter zwei Attentäter. darunter 17 Touristen, ein Busfahrer und ein Polizist. Auch zwei Angreifer wurden getötet. Mehr als 40 Menschen wurden verletzt, einige Verwundete besuchte Essebsi am Mittwoch im Krankenhaus.

“Ich sah blutüberströmte Menschen auf dem Rasen”

Auch Fabienne verschweigt ihren Nachnamen, als sie dem französischen Sender BFM TV schildert, wie sie sich gemeinsam mit anderen Urlaubern und ihrem Touristenführer in einem Saal einschlossen und warteten. “Wir haben nichts gesehen, aber es müssen mehrere gewesen sein. Es war beeindruckend, das waren ganze Salven. Wir hatten Angst, dass sie alle auf einmal kommen und uns töten.”

Eine Tunesierin, die ganz in der Nähe des Museums wohnt, kam gerade nach Hause, als die ersten Schüsse fielen. Instinktiv habe sie sich dem Gelände genähert. “Ich sah blutüberströmte Menschen auf dem Rasen, die Armee, die herbeieilte”, berichtet sie und fügt hinzu: “Ich hatte große Angst.”

Womöglich Deutscher unter Todesopfern

Unter den ausländischen Todesopfern waren Tunis zufolge mehrere Japaner, Italiener und Kolumbianer sowie Touristen aus Frankreich, Polen und Spanien. Ob wie von der tunesischen Regierung angegeben auch Deutsche unter den Toten waren, war zunächst unklar. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Deutsche unter den Opfern seien, Gewissheit gebe es aber noch nicht, sagte der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Nach Angaben des französischen Präsidenten Francois Hollande waren unter den Todesopfern insgesamt zwei Franzosen. Er sprach von einem “furchtbaren Attentat” und übermittelte den betroffenen Familien sein Mitgefühl und Tunesien seine Solidarität. Die Regierungen in Japan und Italien bestätigten jeweils drei Todesopfer, Spanien sprach von zwei getöteten Landsleuten. Auch zwei kolumbianische Touristen, eine Mutter und ihr Kind, kamen ums Leben.

Getötete Attentäter waren Einheimische

Bei den zwei getöteten Attentätern handelt es sich um Tunesier, erklärte der tunesische Ministerpräsident Habib Essid am späten Mittwochabend nach einer Dringlichkeitssitzung seines Kabinetts, wie lokale Medien berichteten. Einzelheiten zu den Attentätern nannte Essid nicht.

Fahndung nach möglichen Komplizen

Zu dem Anschlag auf das Museum bekannte sich zunächst niemand, jedoch trägt er die Handschrift radikaler Islamisten. Die tunesischen Behörden fahndeten am Mittwochabend weiter nach möglichen Komplizen.

Tunesien: Geburtsstätte des Arabischen Frühlings

Die blutige Tat holt das Urlaubsland vier Jahre nach dem Arabischen Frühling in die Realität zurück. Tunesien ist das Geburtsland der Aufstände – und hatte als bislang einziges Land den Weg in die Demokratie geschafft. Anfang 2011 stürzten die Tunesier den Diktator Zine el Abidine Ben Ali. Im Dezember 2014 schloss die erste freie Präsidentenwahl den Demokratisierungsprozess im Land ab – anders als im Rest der Region. Im Gegensatz zu vielen anderen arabischen Staaten machte Tunesien damit eine demokratische politische Entwicklung durch, die auch international vielfach gewürdigt wurde. Allerdings erlebte auch die bewaffnete Jihadistenbewegung seit der Revolution einen Aufschwung.

In Syrien, Libyen und im Jemen toben Bürgerkriege, in Ägypten herrscht wieder ein despotischer Armeechef. Islamistische Gruppen nutzen das Chaos für ihre Zwecke. Nun zeigten die Extremisten mit einer Machtdemonstration, dass auch in Tunesien mit ihnen zu rechnen ist.

Muster erinnert an Anschlag auf “Charlie Hebdo”

Das Muster des Angriffs erinnert an die Bluttat von Islamisten im Januar in Paris. Damals stürmten professionell trainierte Kämpfer hochbewaffnet die Redaktion der Satire-Zeitschrift “Charlie Hebdo” – in Tunis kämpfen sich uniformierte Täter in das Bardo-Museum vor.

Dort nehmen die Bewaffneten zahlreiche Urlauber als Geiseln. Die meisten der etwa 100 Besucher, die sich zum Zeitpunkt des Überfalls im Museum aufhielten, konnten jedoch nach Angaben des Innenministeriums rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Spezialeinheiten umstellen den Berichten zufolge zunächst das Gebäude und beenden die Geiselnahme danach.

Im Internet bejubeln Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Tat, offiziell bekennt sich die Miliz zunächst nicht zu dem Angriff. Der IS kämpft in Syrien und im Irak, hat aber längst Zellen in Ägypten und im tunesischen Nachbarn Libyen gegründet. Ein Anschlag im Herzen Tunesiens wäre ein neuer Machtzuwachs der Miliz.

Nach dem Ende der Geiselnahme meldete sich die Abgeordnete Ounissi erneut auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. “Wir sind ohne Angst”, schreibt Ounissi. Ein frommer Wunsch.

Terroranschlag in Tunis - Erweitert
Terroranschlag in Tunis - Erweitert

Tunesien verspricht “gnadenlosen” Kampf gegen Terror

Die tunesische Führung kündigte einen “gnadenlosen” Kampf gegen den Terror. Präsident Beji Caid Essebsi sagte am Mittwoch, das Land werde “bis zum letzten Atemzug” gegen seine Gegner kämpfen.

“Diese grausamen Minderheiten jagen uns keine Angst ein”, sagte der tunesische Staatschef an die Adresse der Angreifer gerichtet. “Ich möchte, dass das tunesische Volk versteht, dass wir uns in einem Krieg gegen den Terrorismus befinden.” Bewaffnete Angreifer hatten das Museum am Mittwoch gestürmt. Nach Angaben der Regierung starben 19 Menschen, darunter 17 Touristen, ein Busfahrer und ein Polizist. Auch zwei Angreifer wurden getötet. Mehr als 40 Menschen wurden verletzt, einige Verwundete besuchte Essebsi am Mittwoch im Krankenhaus.

Unter anderem die USA, die EU, Frankreich und Deutschland verurteilten den Angriff auf das Schärfste. Die Bundesregierung erklärte, der Angriff habe “ohne Zweifel der jungen tunesischen Demokratie” gegolten. Der UN-Sicherheitsrat zeigte sich ebenfalls entsetzt und forderte, dass die Verantwortlichen der “unbeschreiblichen Terrorakte” sowie deren Finanzierer zur Rechenschaft gezogen werden. (dpa/APA/red)

 

  • VIENNA.AT
  • Politik
  • Das Ende des Frühlings: Islamisten richten in Tunesien Blutbad an
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen