Bei den Parteitagen von CDU, CSU und SPD am Montag in Berlin, München und Karlsruhe gab es kaum Gegenstimmen und Enthaltungen. Bei allen drei Parteien kam es zu kontroversen Debatten. Dabei wurde Kritik an der Koalitionsvereinbarung vorgebracht, weil Positionen der eigenen Partei nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Es wurde aber auch betont, dass es nach dem Ergebnis der Bundestagswahl vom 18. September keine Alternative gebe.
Der Vertrag sei bei drei Nein-Stimmen und einer Enthaltung mit überwältigender Mehrheit angenommen worden, sagte CDU-Generalsekretär Volker Kauder am Nachmittag in Berlin. Die Sozialdemokraten billigten den Koalitionsvertrag mit rund 15 Gegenstimmen und fünf Enthaltungen. Die gut 200 Delegierten auf dem Kleinen Parteitag der CSU in München nahmen das Regierungsprogramm einstimmig an.
Die designierte Kanzlerin Angela Merkel sagte nach der Zustimmung ihrer CDU zur Großen Koalition mit der SPD voraus, dass dieser Weg nicht einfach sein wird. Sie betonte: Deutschland steht am Scheideweg. Das Land stehe vor unglaublich großen Problemen. Die Union wolle gemeinsam mit den Sozialdemokraten Verantwortung übernehmen. Merkel hatte zuvor ebenso wie ihr künftiger Vize Franz Müntefering beim SPD-Parteitag in Karlsruhe um Zustimmung zur Großen Koalition geworben. Beide betonten, dass vernünftige Kompromisse gefunden worden seien.
Merkel sagte, die Große Koalition sei die einzig vertretbare Perspektive. Politik sei immer auch die Kunst des Möglichen. Die CDU stehe zu ihren Wahl-Zielen, auch wenn sie diese jetzt nur eingeschränkt verwirklichen könne. Die Union habe aber bei der Bundestagswahl keinen Auftrag der Wähler für das angestrebte Bündnis mit der FDP bekommen.
Wie Merkel verteidigte der scheidende SPD-Parteichef Müntefering beim Parteikongress seiner Sozialdemokraten in Karlsruhe die geplanten einschneidenden Maßnahmen. Der deutsche Staat lebe bereits von seiner Substanz, sagte er. Müntefering warb für die mit der Union ausgehandelte Politik. Er rief den Delegierten des SPD-Parteitages zu: Lasst es uns wagen. In der Koalitionsvereinbarung gebe es hinreichend sozialdemokratischen Geist. Der SPD stelle sich jetzt die Frage, ob gehandelt werden solle. Leicht wird das nicht, das wissen wir alle. Mit-Verantwortung sei aber besser als Opposition.
Die SPD gab Müntefering außerdem ein Mandat als Vizekanzler. Weiters billigten die gut 500 Delegierten ohne Gegenstimmen auch die Besetzung der acht Ministerien, die der SPD laut der Vereinbarung mit der Union zustehen. Die Delegierten äußerten ihre Unterstützung für die Nominierung von Sigmar Gabriel (Umwelt), Ulla Schmidt (Gesundheit), Peer Steinbrück (Finanzen), Frank-Walter Steinmeier (Auswärtiges), Wolfgang Tiefensee (Verkehr und Aufbau Ost), Heidemarie Wieczorek-Zeul (Entwicklung) und Brigitte Zypries (Justiz) für das neue Bundeskabinett.
Der scheidende deutsche Kanzler Gerhard Schröder betonte beim SPD-Parteitag, die Große Koalition könne Dinge anpacken, entscheiden, handeln. Jetzt könnten Struktur-Probleme aufgelöst werden, die zu einem permanenten Unentschieden zwischen Bundestag und Bundesrat geführt hätten. Schröder forderte seine Partei auf, die Große Koalition nicht als etwas Aufgezwungenes anzusehen. Die damit verbundenen Chancen müssten ergriffen und genutzt werden. Die von Rot-Grün begonnene Politik könne in wesentlichen Punkten fortgesetzt werden.
Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber verwies ebenfalls auf die Chancen des neuen Bündnisses. Wir sind in einer dramatischen Situation. Deutschland ist überschuldet. Diese Situation kann nur eine Große Koalition anpacken, sagte Stoiber. Auf einem kleinen Parteitag in München bedauerte er zugleich die Irritationen um seinen kurzfristig abgesagten Wechsel nach Berlin als Wirtschaftsminister. Er wolle seine Kräfte nun wieder auf das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten konzentrieren.
CDU, CSU und SPD wollen den Koalitionsvertrag am kommenden Freitag unterschreiben. Die Wahl Merkels zur ersten deutschen Kanzlerin ist für den 22. November vorgesehen. Danach soll das schwarz-rote Kabinett berufen werden, dessen Mitglieder schon im Oktober benannt worden waren.
Die Oppositionsparteien bekräftigten unterdessen ihre Kritik am Koalitionsvertrag. Grüne und Linkspartei schlossen sich der Ankündigung der FDP an, notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die schwarz-rote Haushaltspolitik vorzugehen. Union und SPD hatten angekündigt, für 2006 ein verfassungswidriges Budget vorzulegen, bei dem die Neuverschuldung die Investitionen deutlich übertrifft. Das Grundgesetz erlaubt ein solches Vorgehen nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
Wir werden das prüfen, sagte Linksfraktionschef Gregor Gysi. Zwischen den Oppositionsparteien gebe es bereits erste Absprachen zu diesem Thema. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer erklärte, man dürfe nicht zulassen, dass die Große Koalition von vornherein auf einem offenen Verfassungsbruch gegründet werde.