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D: Urteil im Fall der neun toten Babys

Die Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) hat am Donnerstag über den umfangreichsten Fall von Kindstötungen in der deutschen Kriminalgeschichte zu entscheiden.

Sabine H., der heute 40-jährigen Mutter von 13 Kindern wird vorgehalten, dass sie neun ihrer Säuglinge nach der Geburt zu Tode kommen ließ.

Die sterblichen Überreste der Babys waren im vergangenen Sommer bei Aufräumarbeiten auf dem Grundstück von H.s Eltern im ostbrandenburgischen Brieskow-Finkenheerd entdeckt worden, der grausige Fund löste Entsetzen aus. Während die Staatsanwaltschaft auf achtfachen Mord und lebenslange Haft plädiert, sieht die Verteidigung nur einen minderschweren Fall von Totschlag und beantragte dreieinhalb Jahre Haft.

Zehn Jahre lang soll Sabine H. zwischen 1988 und 1998 jede ihrer vielen Schwangerschaften verheimlicht und auf ähnliche Weise beendet haben. Ohne wirksame Verhütung war die Zahnarzthelferin praktisch ständig schwanger, ohne dass ihr Ehemann das trotz regelmäßigen sexuellen Kontakts bemerkt haben will. Kündigten sich die Wehen an, setzte die Angeklagte nach eigenem Bekunden ein Ritual in Gang: Die zu exzessivem Alkoholmissbrauch neigende Frau betrank sich bis zum Filmriss, wenn sie aus dem Rausch aufwachte, lag nach ihren Worten ein weiteres Baby in Blumenerde auf dem Balkon begraben.

Die Angaben der Angeklagten gegenüber der Polizei, nie Gewalt angewendet zu haben, konnten in zehn Prozesstagen nicht widerlegt werden. Gutachter konnten vor Gericht nicht einmal klären, ob die Kinder lebend geboren wurden – die kleinen Leichen waren zu stark verwest. Während die Staatsanwaltschaft die juristischen Mordmerkmale für ein planvolles, serienhaftes und routinemäßiges Töten als erfüllt betrachtet, wurde die Version der Mutter nicht entkräftet, wonach sie die Kinder sich selbst überließ, bis diese keine Lebenszeichen mehr von sich gaben.

Obgleich die Staatsanwaltschaft weit mehr als 160 Zeugen zu den Taten befragte, die die Angeklagte stets ohne fremde Hilfe begangen haben soll, ist die Ausbeute der Ermittlungen nur schmal und das Puzzle der Taten bleibt grob lückenhaft. Weder der Polizei noch dem Gericht ist es gelungen, den menschlichen Abgrund und psychischen Ausnahmezustand auszuleuchten, aus dem sich die Angeklagte während mindestens einem Viertel ihres Lebens nicht befreien konnte. Die Frau kann sich weder an die Zahl noch die konkreten Umstände der einzelnen Geburten erinnern.

Polizeispezialisten mussten bei ihren forensischen Untersuchungen kapitulieren. Todesursache, -zeitpunkt sowie Identität der toten Babys von Brieskow-Finkenheerd werden auf Grund der weit fortgeschrittenen Verwesung der Leichen ungeklärt bleiben. Gerichtsmediziner fanden immerhin heraus, dass es sich um sieben Mädchen und zwei Buben handelte.

Nicht nur die Angeklagte stellte die Staatsanwaltschaft vor unlösbare Rätsel. Auch der langjährige Ehemann und Vater aller Kinder versicherte der ermittelnden Staatsanwältin Anette Bargenda nach deren Worten glaubhaft, nichts bemerkt zu haben. Drei Jahre nach der letzten für ein Kind tödlich endenden Geburt trennte sich das Paar, 2005 wurde die Ehe geschieden. Nach der Trennung wurde die Angeklagte von ihrem neuen Lebensgefährten schwanger und trug das Kind aus.

Verhandelt wurden nur acht der neun Fälle, da der erste Fall aus dem Jahr 1988 nach damals geltendem DDR-Recht bereits verjährt ist. Die zuständige Strafkammer des Landgerichts hatte bereits bei der Eröffnung des Verfahrens die ursprüngliche Mordanklage der Staatsanwaltschaft nicht zugelassen und stattdessen ein Verfahren wegen Totschlags in acht Fällen eröffnet: Nach Auffassung der Richter konnte die Anklage vor Prozessbeginn nicht belegen, dass die Tötungen aus niederen Beweggründen und deshalb geschahen, um jeweils vorangegangen Tötungen zu vertuschen.

Stattdessen nahmen die Richter an, dass die Angeklagte Angst vor Konflikten in der Familie hatte, da ihr Mann weitere Kinder strikt ablehnte. Das Verfahren hatte Ende April begonnen. Die Angeklagte, der geschiedene Ehemann sowie die drei erwachsenen Kinder des Paares verweigerten die Aussage. Sabine H. sitzt seit 1. August vergangenen Jahres in Haft und soll sich Presseberichten zufolge nach der Urteilsverkündung einer Operation wegen einer schweren Krankheit unterziehen.

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