AA

D: "No-Go-Areas" sind Realität

Früher war das Problem weit weg: Reiseführer warnten vor den Bronx in New York. Dass in Deutschland die Verhältnisse ähnlich sein sollen, scheint eine schwer verdauliche Vorstellung.

„Unverantwortlich“ findet der CDU-Politiker und Innenexperte Wolfgang Bosbach die Aufforderung des ehemaligen Regierungssprechers Uwe-Karsten Heye an Afrikaner, während der Fußball-WM bestimmte Gegenden Brandenburgs wegen drohender Lebensgefahr zu meiden. Tatsächlich sind „No-Go-Areas“ – zu meidende Gebiete – längst in vielen Teilen Deutschlands Realität, wie gegen Rechtsextremismus kämpfende Gruppen berichten.

Vor allem die Politiker im Bundesland Brandenburg fühlen sich von Heye herausgefordert. „Dies ist eine Verunglimpfung ganzer Regionen, die durch nichts zu rechtfertigen ist“, erklärte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) empört. Dabei hatte sein Stellvertreter und Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) der Berliner Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ vor gut drei Wochen nichts wesentlich anderes gesagt. Es gebe in Brandenburg Gegenden, „wo man sich klugerweise nachts lieber nicht allein aufhalten sollte“, räumte der profilierte Law-and-Order-Politiker ein. Im gleichen Atemzug verwies er aber darauf, dass es das Problem auch in anderen deutschen Städten gebe.

Tatsächlich scheint der eigentliche Skandal, den Heye ausgelöst hat, darin zu liegen, dass er Brandenburg so hervorhob. „Es ist deutschlandweit ein Problem“, sagt Anetta Kahane, die Vorsitzende der „Amadeus Antonio Stiftung“. Die Stiftung ist nach einem Mann aus Angola benannt, der 1990 im brandenburgischen Eberswalde von Neonazis zu Tode geprügelt wurde. Sie versucht, sich gegen Gewalt von Rechtsextremen zu Wehr zu setzen. Dass diese im Alltag unerträglich sein kann, erlebte Kahane am eigenen Leib: Sie zog aus dem Berliner Stadtteil Pankow weg, weil sie die Pöbeleien wegen ihrer Arbeit nicht ertragen konnte. Dabei half ihr nicht, dass sie Deutsche ist und eine helle Haut hat.

In Ostdeutschland ist das Problem größer als in Westdeutschland. Aber auch im Westen gibt es „No-Go-Areas“. So berichtet Jürgen Schuh von der Düsseldorfer Antifaschistischen Initiative von Vierteln der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt, die von Rechtsextremen beherrscht werden. Sein Dortmunder Kollege Ulrich Sander erzählt von der dortigen Neonaziszene, die immer brutaler werde und in ganzen Stadtteilen für Verunsicherung sorge. „Sicher ist es nicht ratsam, im Dortmunder Norden allein rauszugehen als Ausländer oder Antifaschist…“

Auch Moktar Kamara, Vorstand des in Berlin ansässigen „Afrika-Rats“, will das Problem der „No-Go-Areas“ nicht auf Brandenburg reduzieren: „Dieses Phänomen betrifft ganz Deutschland, die Angriffe sind statistisch allerdings häufiger in Ostdeutschland.“ Für Kamara gehört zum Alltag, bestimmte Gegenden zu meiden. Und ebenso selbstverständlich sei es, dunkelhäutige Gäste zu warnen. „Jedem, der nach Berlin kommt, sage ich: ’Pass auf! Es gibt Bereiche, wo du lieber nicht hingehst.’“ Die Warnhinweise musste Kamara auch schon zur WM anbringen: Ein Betreuer eines der fünf afrikanischen Teams habe ihn angerufen und gefragt, welche Gegenden besonders gefährlich für die Spieler wären.

Der Afrika-Rat will eine Landkarte mit No-Go-Areas in Deutschland herausbringen. Kamara ist Heye dankbar, dass er den ersten Schub an Kritik auf sich gezogen hat. „Herr Heye weiß als ehemaliger Regierungssprecher, wovon er redet. Bei Afrikanern hört man nur den Vorwurf, ’die fantasieren wieder.’“ Dabei sehen weder Kamara noch Kahane das größte Problem im Rechtsextremismus. „Das ist doch keine Schande. Jedes Land hat damit ein Problem“, bemerkt Kamara. Das Problem sei, daraus ein Tabu zu machen, weil so nichts gelöst werden könne. Und Kahane findet die Politik in Deutschland wenig souverän. „Ich verstehe nicht, warum die Loyalität gegenüber einem Landstrich größer ist als gegenüber von Gewalt Betroffenen.“

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • D: "No-Go-Areas" sind Realität
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen