Auf Antrag der Verteidigung findet vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg ein mündlicher Haftprüfungstermin für den 29-jährigen Marokkaner statt. Nach Ansicht seines Verteidigers Josef Gräßle-Münscher hat Motassadeq gute Chancen, nach mehr als zwei Jahren aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte vor knapp einem Monat in einer Revisionsentscheidung den Schuldspruch des OLG gegen den Marokkaner aufgehoben und den Fall zur Neuverhandlung nach Hamburg zurückverwiesen.
Für die Verteidigung zeigt das BGH-Urteil zum Fall Motassadeq genau wie der Freispruch für den Angeklagten im zweiten Hamburger Terrorismusprozess, Abdelghani Mzoudi, dass es nicht genug Beweise für deren Mitwisserschaft um die Anschläge vom 11. September gibt. Motassadeq war im Februar 2003 vom Hamburger OLG wegen Beihilfe zum Mord an rund 3.000 Menschen und Mitgliedschaft in der Hamburger Terrorzelle um den Todespiloten Mohammed Atta zur Höchststrafe von 15 Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es damals als erwiesen an, dass Motassadeq von den Anschlagsplänen wusste und die Selbstmordattentäter als Statthalter” in Hamburg logistisch unterstützte.
Dieses Urteil hatte vor dem Bundesgerichtshof jedoch keinen Bestand. Denn nach Ansicht der Karlsruher Richter berücksichtigte das OLG bei der Beweiswürdigung nicht genügend, dass möglicherweise entlastende Zeugenaussagen des von den USA inhaftierten Terrorhelfers Ramzi Binalshibh von den US-Behörden gesperrt worden waren. Die Geheimhaltungsinteressen eines Staates dürften sich nicht nachteilig für den Angeklagten auswirken, entschied der BGH. Allerdings hielten auch die Bundesrichter Motassadeq weiterhin für verdächtig”.
Verteidiger Gräßle-Münscher geht dennoch optimistisch” in die Verhandlung am Freitag. Für Motassadeqs Freilassung spricht seiner Ansicht nach nicht nur die Binalshibh zugeschriebene Aussage, die im vergangenen Dezember bereits für eine spektakuläre Wende im Mzoudi-Prozess gesorgt hatte. Darin versicherte Binalshibh, außer ihm und den drei Selbstmordattentätern habe niemand zur Hamburger Terrorzelle gehört. Mzoudi war daraufhin freigesprochen worden. Gräßle-Münscher ist zudem überzeugt, dass dem Bundeskriminalamt (BKA) eine weitere Aussage vorliegt, in der Binalshibh seinen Hamburger Bekannten Motassadeq ausdrücklich entlastet.
Der Anwalt beruft sich auf einen Artikel des Spiegel”. Das Nachrichtenmagazin hatte im Februar über das Dokument berichtet. Angeblich halten die deutschen Behörden es bisher unter Verschluss. Das Gericht muss sich um dieses Panzerschrank-Dokument bemühen”, verlangt Gräßle-Münscher. Eine so deutliche Entlastung” seines Mandanten dürfe bei der Haftentscheidung nicht ignoriert werden.
Der Haftprüfungstermin für Motassadeq findet hinter verschlossenen Türen statt. Die Verteidigung rechnet mit einer raschen Entscheidung noch am Freitag. Laut einer Gerichtssprecherin ist dies jedoch eher unwahrscheinlich”. Möglicherweise werde der Strafsenat erst am Montag bekanntgeben, ob der weltweit erste Angeklagte im Zusammenhang mit dem 11. September als freier Mann auf die Neuauflage seines Prozesses in Hamburg warten darf.