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D: Bewährung für Ex-SED-Politbüromitglieder

Im vermutlich letzten SED-Politbüro-Prozess hat das Berliner Landgericht zwei frühere DDR-Spitzenpolitiker der Beihilfe zum Mord an drei Mauerflüchtlingen schuldig gesprochen.

15 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer erhielten die ehemaligen SED-Politbüromitglieder Hans-Joachim Böhme (74) und Siegfried Lorenz (73) am Freitag Haftstrafen von je 15 Monaten, die ein Jahr lang zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die Urteile im Wiederholungsprozess fußen auf DDR-Recht, das zwischen „Beihilfe zum Mord durch Unterlassen“ und Totschlag in mittelbarer Täterschaft nicht unterscheidet, das aber zur Tatzeit für die Angeklagten galt. Es sieht außerdem mildere Strafen als bundesdeutsches Recht vor.

Die Schuld von Böhme und Lorenz besteht den Worten des Vorsitzenden Richters der 40. großen Strafkammer, Thomas Groß, darin, dass sie als langjährige Mitglieder des höchsten DDR-Machtgremiums „pflichtwidrig nicht darauf hingewirkt haben, dass der menschenverachtende Schießbefehl an der so genannten Berliner Mauer aufgehoben, abgemildert oder nicht mehr vollzogen“ wurde. Sie hätten damit ihre Schutzpflichten für DDR-Bürger, die ihnen die DDR-Verfassung auferlegt habe, massiv verletzt. Ihnen wurde kein aktives Tun, sondern Unterlassen zur Last gelegt. Der Richter kritisierte zudem das Verhalten von Lorenz und Böhme, die in dem Prozess deutlich gemacht hatten, dass sie die Schüsse an der Mauer zwar bedauerten, aber für gerechtfertigt hielten. „Das ist unglaublich“, sagte der Richter.

Bei den Toten handelt es sich um Michael Bittner (25), Lutz Schmidt (24) und Chris Gueffroy (20), die in den Jahren 1986, 1987 und 1989 bei Fluchtversuchen an der Berliner Mauer erschossen worden. Die Schützen und ihre Befehlsgeber wurden in einer Reihe von Prozessen bereits bestraft.

Der so genannte zweite Politbüroprozess war im Juli 2000 zunächst mit sensationellen Freisprüchen zu Ende gegangen, von denen Böhme, Lorenz sowie das frühere Politbüromitglied Herbert Häber profitierten. Die 32. Kammer des Landgerichts war damals davon ausgegangen, dass die Angeklagten den Schießbefehl nicht hätten stoppen können. Der Freispruch war seinerzeit der erste in einem Politbüroprozess. Dieses Urteil hatte der Bundesgerichtshof am 6. November 2002 jedoch aufgehoben. Nach Feststellung des BGH war die Untätigkeit der Angeklagten sowohl nach DDR-Recht als auch nach dem Strafgesetzbuch der Bundesrepublik strafbar.

Das Verfahren gegen Häber war nach der BGH-Entscheidung abgetrennt worden. Häber wurde im Mai für den Tod der drei DDR-Flüchtlinge schuldig gesprochen, er blieb aber ohne Strafe. Das Gericht erkannte damit an, dass sich Häber für eine Lockerung des Grenzregimes eingesetzt und dafür massive Benachteiligungen hingenommen hatte.

Zur Urteilsverkündung kamen im Gegensatz zum Prozessauftakt weder der frühere Staats- und Parteichef Egon Krenz noch der letzte SED-Ministerpräsident Hans Modrow. Krenz, selbst zu sechseinhalb Jahren Haft wegen der Mauertoten verurteilt und vorzeitig auf freiem Fuß, hatte erklärt, die Prozesse gegen DDR-Bürger seien nicht gerechtfertigt. Neben Krenz waren auch die Politbüromitglieder Günter Schabowski und Günther Kleiber wegen Totschlags zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Schabowski und Kleiber sind inzwischen begnadigt worden. Die höchste Strafe hatte DDR-Verteidigungsminister Heinz Keßler mit siebeneinhalb Jahren Haft bekommen.

Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Akten, Marianne Birthler, wertete den Prozess als „wichtiges Stück Aufarbeitung“. Im inforadio in Berlin sagte sie, sie halte es für richtig, dass es nicht nur um das Verhalten von Schützen und ihren Kommandeuren, sondern auch der politisch Verantwortlichen gegangen sei. Die Aufarbeitung der Schüsse an der Mauer sei „einigermaßen gelungen“, fügte sie im ZDF-Morgenmagazin hinzu. Viele andere Verbrechen der Stasi könnten aber nicht gesühnt werden. Dies gelte für die Zerstörung von Biografien und Menschenleben durch gezielte Zersetzungsprozesse. „Da bleibt ein Rest von Bitternis, insbesondere bei den Opfern des MfS,“ (Ministerium für Staatssicherheit) sagte sie.

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