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Cyberbegging statt Betteln auf der Straße

Not ist allgegenwärtig. Ihr begegnet man nicht nur auf den Plätzen der Großstädte, sondern auch im Internet. Inzwischen gibt es dafür sogar einen eigenen Begriff: Cyberbegging.

Da gibt es die allein erziehende Mutter, die nicht mehr weiter weiß und deswegen im weltweiten Computernetz um eine Geldspende bittet. Oder den Studenten, der mit riesigen Schulden kämpft. Ein kinderloses Paare sucht Hilfe bei der Finanzierung einer künstlichen Befruchtung. Zu diesem Zweck hat sich Mandy Aylward erst im vergangenen Monat eine persönliche Web-Site eingerichtet. Auf der 23-jährigen Modestudentin und Kellnerin aus Chicago lasten fast 30.000 Dollar (27.996 Euro) Schulden aus Studiengebühren und der Überziehung von Kreditkarten, die sie zurückzahlen will. Bisher kamen gerade 160 Dollar (149 Euro) zusammen, ein Teil davon von ihrer Mutter. Ihren Mut hat sie aber noch nicht verloren: „Vielleicht findet sich ja doch noch eine großzügige Seele.“

Brian Nolan aus dem Bezirk Los Angeles beschreibt sich als einen 26-jährigen angehenden Sanitäter, offenherzig und hart arbeitend. Er hat offenbar mehr Glück. Im November vergangenen Jahres ging er mit rund 40.000 Dollar (37.327 Euro) Schulden ins Netz. Jetzt bekomme er wöchentlich fast 1.000 Dollar (933 Euro) an Spenden, sagt er. „Ich bin mir sicher, dass ich meine Schulden eines Tages abbezahlen kann. Aber warum soll ich die Hilfe jetzt nicht annehmen, wenn ich es kann.“

Seit etwa einem halben Jahr liegt Cyberbegging voll im Trend. Zu den Protagonisten gehört die 29-jährige New Yorkerin Karyn Bosnak, die auf ihrer Web-Site SaveKaryn.com eine einfache Rechnung zur Tilgung ihrer Schuldenlast von 20.000 Dollar (18.664 Euro) aufmachte:
„Ich brauchte nur einen Dollar von 20.000 Leuten oder zwei Dollar von 10.000 oder fünf Dollar von 4.000 Leuten…“ Inzwischen hat sie es geschafft und ist eine Cyber-Berühmtheit geworden, mit einem Buchvertrag in der Tasche: Ihre Lebensgeschichte soll Ende des Jahres erscheinen.

Einige Experten bezweifeln aber die Angaben, die Bosnak und andere zur Höhe der eingegangenen Spenden machen. „Ich hätte gerne ein paar Beweise“, sagt Steve Jones von der Universität von Illinois in Chicago. Bosnak, die Fragen nur per E-Mail beantwortet, lehnt Angaben dazu ab und verweist auf das bald erscheinende Buch.

Brian Nolan legt Bankauszüge vor, auf denen unter anderem auch Buchungen von PayPal, einem Online-Überweisungsdienst, zu sehen sind. Der Schlüssel zum Erfolg sei die Aufmachung der Web-Site, sagt Nolan. Wichtig sei ein lockeres und vergnügliches Leseangebot. Einfach nur traurige Geschichten stießen Leser eher ab.

Christine Kent, die die Web-Site SaveBuster.com betreibt, benannt nach ihrer Katze, stimmt da zu. Bosnak habe Erfolg gehabt, weil das Lesen dort einfach Spaß gemacht habe. Mit ihrer eigenen Web-Site sammelt Kent aber kein Geld für ihre Katze, sondern für eine Wohltätigkeitsorganisation in San Francisco, die Aids-Kranken beim Unterhalt ihrer Haustiere hilft.

Eine der Spenderinnen ist Meg Cadwell, eine 23-jährige medizinische Assistentin aus Florida. Sie schickte Bosnak und Kent ein paar Dollar. Aber sie ist sich nicht sicher, ob sie das häufiger machen würde. „Es ist nichts Neues mehr. Die Leute verlieren das Interesse“, sagt Cadwell.

Es gibt auch ganz andere Reaktionen. Ein Paar aus der Gegend von Seattle, das finanzielle Hilfe für eine künstliche Befruchtung wollte, bekam so hasserfüllte E-Mails, dass es inzwischen die Web-Site wieder zurückzog. Natürlich fehlt es auch nicht an guten Ratschlägen, doch lieber das Leben zu ändern, statt andere Leute anzubetteln.

Penny Hawkins erhielt zahllose Reaktionen auf ihre Web-Site HelpMeLeaveMyHusband.com. 12.000 Dollar (11.198 Euro) brauchte sie nach eigenen Angaben, um sich von ihrem Mann trennen zu können. „Ich bin äußerst dankbar für jede Spende“, erklärt Hawkins. Außer Geld sind auch Sachspenden eingetroffen, darunter „ein Haufen religiöser Bücher“.

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