Dass der US-Erfolgsautor Chuck Palahniuk etwas gegen Konventionen hat, weiß seine breite Fangemeinde spätestens seit der Verfilmung seines ersten Romans Fight Club. Mit der Mischung aus absurder Gewalt, psychiatrischen Grenzwanderungen und der Analyse fanatischer Bewegungen hat er sich nicht nur Freunde gemacht. So war es kaum verwunderlich, dass er bei der Buchpräsentation seines jüngsten Werks Das Kainsmal (Originaltitel Rant) im Rahmen des Literatursalons im Wiener Rabenhoftheater nicht einfach das übliche Programm abspulte. Als Belohnung für die erste Publikumsfrage verteilte er eine an sich selbst adressierte Antwortkarte, danach stellte er die Fragen.
Was erwartet man sich von einem Autor, der Bücher über eine Selbsthilfegruppe für Sexsüchtige oder adoleszente Masturbationspraktiken schreibt? Diese und ein Dutzend andere Fragen trieben gestern, Dienstag, eine ganze Schar an Zuhörern ins Rabenhoftheater. Was die Leser dort vorfanden, war jedoch nicht ein verschrobener Psychopath, sondern ein humorvoller, höflicher Mann, der sich trotz seines Star-Tums nicht scheut, die Nähe des Publikums zu suchen. Ganz im Gegenteil. Nach mehr als zehn Jahren im Geschäft vermittelte Palahniuk das Gefühl, sich immer noch über seinen Erfolg zu wundern und das Interesse seiner Fans aufrichtig zu schätzen.
Nach der deutschen Lesung des Schauspielers Johann Nikolussi aus dem neuen Roman, der von den verrückten Abenteuern von Buster Casey, dem patient zero, dem Erstträger einer neuen Form von Tollwut, handelt, plauderte Palahniuk freimütig über sein kleines Gehirn, das es ihm erlaubt, Tabus zu brechen. Auch machte er seinem Ärger gegenüber George Bushs Frau Laura Luft, die in der Talkshow Oprah Winfrey bekannte: Bücher sind etwas Gutes. Sie helfen den Menschen, abends einzuschlafen. – Meine Bücher sind dazu da, um aufzuwachen, polterte der 45-Jährige. Lesen sei ein großes Stück Arbeit, schließlich müsse man dem Autor, der so viel Arbeit hinein gesteckt habe, mit dem nötigen Interesse beikommen.
Das Kainsmal funktioniert, noch mehr als seine bisherigen Bücher, wie ein Film. In kurzen, oft voneinander unabhängig scheinenden Sequenzen erzählt Palahniuk die Geschichte seines Helden, der seine Grenzerfahrungen in wilden Auto-Crash-Partys oder mit Hilfe von Bissen giftiger Tiere sucht. Seine Leser könnten die Bilder durchaus beliebig montieren, so der Autor, der das Lesen kurzer Kapitel mit dem Essen von Popcorn verglich: Wenn es lauter kleine Häppchen sind, kann man einfach nicht aufhören, bis die Tüte leer ist. Die Technik der oral biography – der Plot wird in Kainsmal von mehr als 50 Stimmen erzählt – erlaube es ihm, den Lesern ein Gefühl der Non-Fiction vorzugaukeln, was ihm ermögliche, die wahnwitzige Geschichte glaubhaft erscheinen zu lassen.
Filme fordern das Publikum, weil sie die vielen Szenen selbstständig in ihrem Kopf verlinken müssen, so Palahniuk. Bücher tun noch immer so, als wären die Leser verdammt dumm!. Er wolle diese Tradition durchbrechen und seine Leser nicht an der Hand durch das Geschehen führen. Die zahlreichen Vorwürfe, er würde zutiefst menschliche Tabus an die Öffentlichkeit zerren, quittierte er mit seinem kleinen Hirn, das nicht wissen müsse, dass Phänomene außerhalb seiner Lebenswelt noch in Millionen anderen Köpfen herumspuken. Die Verbreitung von verrückten Entwicklungen kann man nur dadurch stoppen, in dem man ihnen eine Plattform bietet, sie öffentlich macht. Ansonsten schwelen diese Dinge unter der Oberfläche und werden viel bedrohlicher, als sie durch ihr Outing werden.
Als Draufgabe las Palahniuk aus der nicht veröffentlichten Erzählung Cold Calling, die anhand der Erlebnisse eines Tele-Marketers den offenen Rassismus in Amerika entblößt. Die abschließende Fragerunde forderte das Publikum, das dem Autor bewies, dass man sich auch kleine Details merken kann. Etwa den Namen von Goldfischen oder imaginären Hunden. Abschließend heimste Palahniuk noch einmal einen großen Lacher ein: Was ist für Marla (die weibliche Hauptfigur von Fight Club, Anm.) der Gläserne Schuh unserer Generation? – Diese Antwort wussten viele: Das Kondom!