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Chiracs verflixtes zehntes Jahr

Auf dem Gipfel herrscht Einsamkeit, und wer ihn erklommen hat, muss dann auch an den Abstieg denken. So oder ähnlich beschreiben Intimkenner die Stimmung im Pariser Elysee-Palast.

Am kommenden Samstag (7. Mai) ist es genau ein Jahrzehnt her, dass der routinierte Vollblutpolitiker und gewiefte Taktiker nach drei Anläufen das Amt des Staatspräsidenten endlich antreten konnte.

Grund zu feiern hat der konservative Politiker kaum. Denn das Jubiläumsjahr ist für ihn ein verflixtes. Die Franzosen drohen beim Referendum am 29. Mai die EU-Verfassung zu kippen – als Denkzettel auch für Chirac. Jüngste Umfragen zeigen, dass das Vertrauen in ihn so gering ist wie seit Jahren nicht mehr. Nicht einmal jeder Dritte ist zufrieden mit dem, was er in den zehn Jahren geleistet hat. Und ein Herausforderer aus dem eigenen Lager, der UMP-Parteichef Nicolas Sarkozy, begehrt immer unverfrorener auf. Hat Chirac den Zenit nach einer mehr als 40-jährigen Politkarriere überschritten? Bringt die Präsidentenwahl in zwei Jahren also einen neuen Staatschef?

„Jacques im Glück“, so hieß es noch 2002, als der Neogaullist im zweiten Wahlgang – gegen den rechtsextremen Jean-Marie Le Pen – mit überwältigender Mehrheit ein zweites Mandat bekam. Der rechtsliberale Jean-Pierre Raffarin als Premier, das schien ein Glücksgriff zu sein. Doch nur auf dem internationalem Parkett, als Bannerträger gegen den Irakkrieg, fühlte sich Chirac richtig pudelwohl und sammelte Punkte für sein „Vermächtnis“. Schlecht vermittelte Sozialreformen, Skandale und Fehltritte brachten seine Regierung in Misskredit. Die Regional- und Europawahlen gingen an die Linke, Chiracs Partei UMP wurde nicht zum gewünschten Sammelbecken der Rechten, sein einstiger Kronprinz Alain Juppe steht wegen einer Spendenaffäre im politischen Abseits.

Auch wenn die Ja-Sager gerade wieder etwas Aufwind haben, muss der Präsident doch weiterhin befürchten, dass die Franzosen Ende Mai beim Referendum so etwas wie Endzeitstimmung für ihn aufkommen lassen. Er will nicht zurücktreten, sollte die Verfassung abgelehnt werden und Frankreich wie Europa in eine tiefe Krise schlittern. Dabei hätte er die Verfassung ganz bequem vom Parlament ratifizieren lassen können.

Was kommt denn nun für den „alten Hasen“, der auch jahrzehntelang Abgeordneter und Pariser Bürgermeister sowie zwei Mal Premierminister war? Recht nervös wegen der möglichen Ablehnung der EU-Verfassung hat Chirac die Parole ausgeben lassen, den glücklosen Premierminister in jedem Fall austauschen zu wollen. Sollte Chirac, dann 74-jährig, 2007 für ein drittes Mandat antreten, braucht er einen überzeugenden und erfolgreichen Wahlkämpfer als Premier. Nicht unterschätzen sollte man dabei seine Fähigkeit, sich selbst am Schopf aus tiefstem Sumpf zu ziehen – zumal die Opposition alles andere als eine gute Figur macht.

Begonnene Sozialreformen, eine teilweise erfolgreiche Bekämpfung der Kriminalität und mehr Sicherheit auf den Straßen, das gehört zu den Pluspunkten seiner Ära. Hohe Arbeitslosigkeit, eine gesunkene Kaufkraft und soziale Unruhe wiegen schwer auf der anderen Seite der Bilanz. Kritiker klagen, Innenpolitik interessiere Chirac zu wenig.

Für den Staatschef geht es bei der Frage, ob er über Mai 2007 hinaus Präsident bleiben möchte, noch um etwas ganz anderes. Solange er im Elysee-Palast residiert, schützt ihn dies davor, wegen diverser Finanzaffären aus seiner Zeit als Bürgermeister von Paris vor Gericht zitiert zu werden. Noch genießt Chirac also Immunität. Er könnte also versucht sein, sich diese unbedingt erhalten zu wollen. Zunächst geht es nun aber darum, dieses Jubiläumsjahr einigermaßen zu überstehen.

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