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Chirac: Referendum über EU-Verfassung

Der französische Präsident Jacques Chirac hat ein Referendum über die EU-Verfassung angekündigt. Er teilte dies bei einem Interview anlässlich des französischen Nationalfeiertags mit.

Frankreich Präsident hat entschieden, und eine der aufrichtigsten Reaktionen kam prompt und viel sagend aus London: Er freue sich über Jacques Chiracs „Mut“, kommentierte der britische Europaminister Denis MacShane die Ankündigung aus Paris, auch die Franzosen per Referendum über die Europäische Verfassung entscheiden zu lassen.

Mit dem spektakulären Schritt hat Chirac mitten in der politischen Trägheit des französischen Sommers ein Thema gesetzt, das die Bevölkerung mindestens ein Jahr lang beschäftigen wird. Dabei hatte sich das Staatsoberhaupt zuvor lange gewunden und sich die Option offen gehalten, die Verfassung vom Parlament ratifizieren zu lassen. Aus innenpolitischen Gründen blieb ihm diese Wahl de facto aber nicht.

„Ich habe Vertrauen in die Franzosen“, begründete Chirac bei seinem traditionellen Fernsehinterview zum französischen Nationalfeiertag seine Entscheidung. Die Bürger seien direkt betroffen, also würden sie auch direkt befragt; als Termin für die Volksabstimmung nannte Frankreichs Staatschef am Mittwoch die zweite Hälfte des kommenden Jahres.

Was so knapp und logisch klingt, ist indes Ergebnis eines monatelangen Prozesses, bei dem es weniger um demokratische Gepflogenheiten als um Macht und Einflussmöglichkeiten ging. Schließlich hätte Chirac die Entscheidung, die verfassungsgemäß ihm allein zusteht, schon vor Monaten verkünden können. Nun führte er an, er habe erst die endgültige Fassung des im Juni vom Brüsseler EU-Gipfel verabschiedeten Textes sehen wollen.

Der Streit um die Verfassung für Europa geht quer durch Frankreichs Parteien. Letztlich dürfte das Referendum aber klar im Sinne Chiracs mit einem „Oui“ ausgehen. Die Präsidentenpartei UMP sprach sich mit Macht für ein Referendum aus und setzt auf eine Zustimmung.

Ein entsprechender UMP-Beschluss kam allerdings nur auf Drängen von Chiracs ärgstem Rivalen zustande: von Finanzminister Nicolas Sarkozy, der im November den Vorsitz der Regierungspartei erringen und auf diese Machtbasis gestützt dann Chirac bei der Präsidentschaftswahl 2007 politisch beerben will.

Und Innerhalb der rechtsbürgerlichen Mehrheitspartei gibt es einen starken Flügel standhafter „Souveränisten“, die sich in der Tradition von Chiracs politischem Vater Charles de Gaulle sehen. Sie machen gegen die Verfassung und die damit einher gehende tiefere Integration Europas mobil; ihr Spitzenvertreter Nicolas Dupont-Aignan errang bei der Wahl des ersten UMP-Chefs im November 2002 parteiintern immerhin 14 Prozent.

Die beiden anderen großen politischen Kräfte – die oppositionellen Sozialisten und die Zentrumsliberalen – stehen aber ebenfalls mehrheitlich zum „Oui“. Dass Sozialisten-Vize Laurent Fabius offen Bedenken geltend macht, begründen Beobachter nicht zuletzt mit seinem Schielen nach der Präsidentschaft: Schließlich kommt ein Schuss Europa-Skepsis bei vielen Wählern an, wie bereits der einstige Euro-Kritiker und jetzige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) erfahren durfte.

Im letzten französischen EU-Referendum hatte es eine denkbar knappe Mehrheit für die Einführung des Euro gegeben: 51,05 Prozent stimmten am 20. September 1992 für den Maastrichter Vertrag, der den Weg zur Einheitswährung ebnete. So spannend wird es beim Verfassungs-Referendum aus heutiger Sicht wohl nicht. Eine Umfrage sah zuletzt eine mögliche Zustimmung von 66 Prozent. Soviel „Mut“ wie Premier Tony Blair für seine Entscheidung zu einem Referendum in Großbritannien brauchte Chirac also wohl nicht.

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